Bis die Schicht zu Ende ist: Aus dem Leben der Fabriksarbeiterinnen
Tagein, tagaus stehen sie am Fließband und verrichten die immer gleichen Handgriffe. Was sich für Frauen, die in den Fabriken arbeiten, im Laufe der Zeit verändert hat.
Es ist 6 Uhr in der Früh. Schichtbeginn. Jetzt, wenn es Sommer wird, ist es draußen schon hell. In den Wintermonaten gehört die Beleuchtung der Fabrikshalle zum ersten Licht, das die Arbeiterinnen am Beginn ihres Arbeitstages sehen.
Die Nachtschicht kann nach Hause gehen, jetzt, wenn die Frühschicht sie an den jeweiligen Arbeitsplätzen ablöst. Dem Fließband ist es nämlich ganz egal, wer dasteht. Das Fließband läuft unaufhörlich, Stunde um Stunde, Tag um Tag. Das Fließband gibt den Takt vor. Das Fließband ist der eigentliche Chef – an vielen Industriestandorten seit mehreren Jahrzehnten, manchmal seit Jahrhunderten. Bauteil kommt, Schraube rein, Bauteil fährt weiter, nächstes Bauteil kommt, Schraube rein, ...
Heute arbeitet österreichweit rund eine halbe Million Menschen in der Produktion. Knapp ein Viertel davon ist weiblich. Wie aber unterscheidet sich die Situation der Fabriksarbeiterinnen von jener der männlichen Arbeiter? Und was hat sich für die Frauen im Laufe der Zeit verändert?
In einigen Branchen, etwa der Textilindustrie, seien es seit jeher vor allem Frauen gewesen, die „am Bandl“ stehen und stundenlang dieselben Handgriffe ausführen, sagt Martin Hagmayr. Er ist Historiker im Museum Arbeitswelt in Steyr. In anderen Bereichen, wie der Metallindustrie, sei der Anteil der Fabriksarbeiterinnen erst während der Weltkriege angestiegen. „Auch Zwangsarbeiterinnen aus Russland, der Ukraine, und Belarus wurden damals in der Industrie eingesetzt“, sagt Hagmayr.
Im Wandel
Das Charakteristische an der Fließbandarbeit ist, dass dabei eine hohe Anzahl an Produkten gefertigt wird, bei denen es kaum Variationen gibt. In vielen Bereichen haben hier zunehmend Maschinen die menschliche Arbeitskraft ersetzt
Beispiele
Dennoch stehen in einigen Branchen auch heute noch Menschen am Fließband: in der Automobil- und Metallindustrie , der Textilindustrie, der Elektroindustrie, in Großbäckereien, der glasverarbeitenden Industrie, bei der Obst- und Gemüseveredelung- und der Tiefkühlindustrie, um nur einige Beispiele zu nennen.
Gleichzeitig wurden in den vergangenen Jahren große Teile der Produktion ins billigere Ausland ausgelagert
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts organisieren sich in den Fabriken auch die Frauen, um für besseren Arbeitsbedingungen einzutreten. Erste Streiks von Fabriksarbeiterinnen seien ab Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert, sagt Hagmayr. In Lyon streikten 1869 die Seidenarbeiterinnen für eine Verkürzung des Arbeitstages um zwei Stunden und gleiche Löhne wie ihre männlichen Kollegen. Anfang des 20. Jahrhunderts traten Arbeiterinnen im deutschen Crimmitschau in den Streik. Sie forderten eineinhalb Stunden Mittagspause – nicht, um zu essen, sondern, um nach Hause gehen und die Kinder versorgen zu können.
Mutterschutz, wie wir ihn heute kennen, gab es lange Zeit keinen, die Frauen mussten hochschwanger zur Arbeit in der Fabrik erscheinen. Ab 1885 wurden Frauen vier Wochen nach der Geburt unbezahlt freigestellt. Seit 1921 gab es für pflichtversicherte Frauen Krankengeld für je sechs Wochen vor und nach der Geburt, schildert Hagmayr.
„Das ist Pragmatismus“
Die Kinderbetreuung ist für Frauen, die „schichtln gehen“ bis heute ein Problem. Wenn um sechs in der Früh die Schicht beginnt, hat nun einmal kein Kindergarten geöffnet, wenn die Spätschicht um 22 Uhr endet, ist er längst geschlossen.
Trotzdem ist die Schichtarbeit, und auch die Nachtschicht, für viele Frauen noch heute eine schnelle Möglichkeit, zu Geld zu kommen – vor allem dann, wenn sie keine Ausbildung haben.
„Das ist Pragmatismus. Das macht jede nur wegen dem Geld“, sagt Katharina. Sie hat in der Automobilindustrie „am Bandl“ gearbeitet, will aber keine Probleme mit dem Betrieb bekommen und darum lieber anonym bleiben. Obwohl es keine bestimmten Voraussetzungen für den Job gegeben hat, hätten viele eine abgeschlossene Ausbildung gehabt, erzählt sie. „Das sind nicht alles Bildungsabbrecher. Manche haben einfach gesagt, ich baue grad Haus, ich hab zwei Kinder, man gewöhnt sich halt an das Geld. Auch wenn’s bei Weitem kein leichtverdientes Geld ist.“ Jedes Jahr sei die Stückzahl, die in einer Schicht geschafft werden muss, höher geworden. Man habe zusammengehalten, um das Schichtziel zu erreichen, „aber du willst auch nicht früher fertig werden, weil dann heißt es, aha, da geht noch mehr“, sagt Katharina. Sie hat auch gerne in der Nacht gearbeitet, „weil da sind wenigstens keine Anzugmenschen durchgegangen, die dir über die Schulter schauen“.
Kinder hatte Katharina zu ihrer Zeit in der Fabrik noch keine. Wie das gehen soll, weiß sie jetzt, wo sie selbst Mutter ist, aber nicht. „Ich habe nur gearbeitet und geschlafen“, erzählt sie. Die monotone Arbeit am Fließband fordert ihren Tribut. Nach acht Stunden Stehen sei sie komplett fertig gewesen, sagt Katharina, zumindest körperlich. „Der Körper ist unendlich müde, aber der Kopf ist unterfordert.“ Das Radio, das permanent lief, habe sie „gerettet“, denn um sich mit den Kolleginnen zu unterhalten, sei es in der Halle zu laut und die Arbeitsplätze zu weit auseinander.
„Trotzdem“, sagt Katharina, „in der Pflege hackelst doppelt so viel für die Hälfte des Geldes.“ Nur an die Zukunft dürfe man nicht denken. Katharina hat daran gedacht und die Branche gewechselt. Was sie meint, ist etwa der Gedanke an die Pension. Laut Gewerkschaft beträgt die durchschnittliche Pension einer Arbeiterin aus der Produktion aktuell 837 Euro. Das liege auch daran, dass es in den Fabriken zu wenige altersgerechte Arbeitsplätze gebe, und die Frauen aus gesundheitlichen Gründen oft nicht bis zum Pensionsalter arbeiten können.
An die Pension denken die meisten Frauen in der Fabrik aber ohnehin nicht, denn, wie Katharina sagt: „Du denkst an das Geld, das du brauchst, um im Jetzt zu leben“. Und das Jetzt, das heißt: Bauteil kommt, Schraube rein, Bauteil fährt weiter, nächstes Bauteil kommt, Schraube rein, ...
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