Bezahlkarte für Asylwerber: "An Niedertracht nicht zu überbieten"
von Charlotte Pichler und Raffaela Lindorfer
Das Innenministerium will ab 2025 eine Bezahlkarte für Asylwerber einführen. Damit sollen Verwaltungskosten eingespart und Auslandsüberweisungen durch Asylbewerber verhindert werden.
Ressortchef Gerhard Karner (ÖVP) soll nun ein bundesweites Modell ausarbeiten. Einfließen sollen dabei die Erfahrungen aus Tirol und Niederösterreich, wo es solche Systeme bereits gibt. Den Vorstellungen des Innenministers entspricht jedoch am ehesten das Modell der Pilotregion Oberösterreich.
Die Crux: Die Länder können selbst entscheiden, ob sie das ausgearbeitete Modell anwenden wollen oder nicht.
Und da gibt es bereits erste Dämpfer: Wiens Stadtrat Peter Hacker (SPÖ) will klären, wie es technisch und juristisch gehen könnte, „bevor man sinnlos Geld ausgibt für eine Superbürokratie“. Und in Vorarlberg sagt ÖVP-Landesrat Christian Gantner zum ORF, Sachleistungen würden mehr Sinn machen. "Wir bezahlen in Vorarlberg jetzt schon kein Bargeld an Asylwerber aus, weil alle ein Konto haben." Für ihn ist eine Bezahlkarte nur dann sinnvoll, wenn sie österreichweit einheitlich kommt.
Der KURIER hat sich die verschiedenen Modelle angeschaut und mit einem Asylexperten über den (vermeintlichen) Nutzen gesprochen.
Oberösterreich: System nach deutschem Vorbild
Ab Juli führt Oberösterreich gemeinsam mit dem Innenministerium die "Social Card" nach deutschem Vorbild ein. Auf diese Karte soll das Verpflegungsgeld von sieben Euro pro Tag (rund 210 Euro pro Monat) gebucht werden. Hinzu kommen Zuschüsse wie das Schulgeld (zwei Mal pro Jahr 100 Euro) und Geld für Bekleidung.
Davon können Asylwerber 40 Euro in bar abheben - für Einkäufe in Geschäften, die keine Kartenzahlung akzeptieren.
Nicht erlaubt ist es, das Geld für Glücksspiel oder Pornografie zu verwenden. Ob die Karten für die Altersfreigabe bei Zigarettenautomaten funktionieren, ist noch offen.
In einer ersten Phase im Sommer soll die Karte an ca. 300 Personen in sieben Quartieren des Landes sowie in einem Quartier der Bundesbetreuung vergeben werden. In der zweiten Phase ab Herbst sollen auch Asylwerber, die in privaten Quartieren leben, eine solche Karte bekommen.
Überweisungen sind mit der Karte übrigens möglich (etwa für Miete, Strom etc.), nicht aber ins Ausland.
Integrations- und Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) sagt: „Mit der Einführung der Sachleistungskarte für Flüchtlinge senden wir ein unmissverständliches Signal, verhindern Missbrauch wie das Bezahlen von Schleppern und erleichtern die Abläufe für die auszahlenden Organisationen.“
Niederösterreich: "An Niedertracht nicht zu überbieten"
In Niederösterreich ist FPÖ-Asyllandesrat Christoph Luisser schon vorher - unabhängig vom Innenministerium - einen eigenen Weg gegangen: Seit Anfang Juni gibt es für einige Asylwerber eine "Pluxee"-Karte (vormals Sodexo) mit sechs Euro pro Tag. In bar gibt es zusätzlich 40 Euro monatlich.
Das System läuft seit knapp einer Woche, Lukas Gahleitner-Gertz von der "asylkoordination" berichtet von ersten Problemen: Die "Pluxee"-Karte werde gerade im ländlichen Bereich mitunter nicht akzeptiert, was dazu führt, dass Asylwerber mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die nächstgrößere Stadt fahren müssen - aber auch im Bus könne man nicht mit Pluxee-Karte, sondern nur mit Bargeld bezahlen. Wodurch die Barauszahlung bei vielen schon für die Öffi-Tickets draufgehe, so Gahleitner-Gertz, der sagt: "Das niederösterreichische Modell ist an Niedertracht nicht zu überbieten."
Probleme sollen Kartenanbieter betreffen
Im Ö1-Morgenjournal am Donnerstag geht FPÖ-Landesrat Christoph Luisser auf diesen Vorwurf ein. Die Schikanen seien laut ihm "nicht zutreffend", ihm seien die "angeblichen" Probleme beim Bezahlen nicht bekannt. Das System sei von Fachkräften "exzellent" ausgearbeitet worden. "Die Dinge, die Sie ansprechen, betreffen nicht meine Sphären, sondern Sphären zwischen den Vertragspartnern des Kartenanbieters.", antwortet er auf die Kritik, dass Karten auf dem Land oft nicht akzeptiert werden. Dem solle laut Luisser selbstverständlich nachgegangen werden.
Weiter betont er, Österreich solle als Einwanderungsland für den Missbrauch des Sozialsystems möglichst unattraktiv gemacht werden. Die Bezahlkarte führe NÖ diesem Ziel einen Schritt näher. In diesem Zusammenhang verweist er auf erste Bilanzen aus Deutschland, wo die Bezahlkarte zu Auswanderungen von Asylbewerbern geführt hätte.
Speziell Oberösterreich hatte einen Blick ins benachbarte Bayern geworfen, ehe man das Modell einer Bezahlkarte für Flüchtlinge nun selbst umsetzt. Bayern ist eines der wenigen deutschen Bundesländer, die dieses System für die Grundversorgung eingeführt haben.
Ein weiteres Bundesland ist Thüringen. Dort wurde nun erstmals Bilanz gezogen, wie Bild und Focus berichtet haben. Laut der Landesführung zeige das System zwei Effekte: Einerseits nutze ein Teil die damit verbundene Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen. Allerdings hätten etliche Asylwerber wegen der Bezahlkarte Thüringen bereits verlassen.
Zitiert wird Landrat Werner Henning (CDU): „70 Personen sind seit Einführung ausgereist bzw. nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft oder in unseren Wohnungen. Es gibt Personen, die geäußert haben, wegen dieser Karte ausreisen zu wollen.“
Wobei einige Flüchtlinge durch einen Trick zu Bargeld kommen wollten. Sie haben versucht, mit der Bezahlkarte Artikel wie Küchenmaschinen zu kaufen, und wollten diese dann wieder für Bargeld zurücktauschen.
Tirol: Karte und Bargeld
In Tirol gibt es eine Bezahlkarte schon länger, aber mit anderer Funktionsweise. Im Fokus stand das Ziel, erklärt Gahleitner-Gertz, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Asylwerber mussten früher in regelmäßigen Abständen zur Bar-Auszahlung bei den Tiroler Sozialen Diensten antreten, die Einrichtung wiederum musste Bargeld beschaffen und Personal aufstellen, um die Auszahlung abzuwickeln. Hinzu kam noch der Papierkram: Für jede Auszahlung gab es eine schriftliche Bestätigung.
Bei der Tiroler Bezahlkarte handelt es sich im Wesentlichen also um eine Digitalisierungsmaßnahme: Das Grundversorgungsgeld wird auf die Karte überwiesen und vom Asylwerber selbst bei einem Bankomat abgehoben.
Überweisungen ins Ausland sind auch mit dieser Karte nicht möglich. Theoretisch könnte Bargeld abgehoben und in die Heimat transferiert werden - eine Evidenz gebe es dafür aber nicht, sagt Gahleitner-Gertz. Es sei aber davon auszugehen, dass sich Asylwerber von den geringen monatlichen Beträgen ohnehin nicht viel abzweigen können.
"Parallelstruktur für 17.000 Personen"
Der Asylexperte stellt die Sinnhaftigkeit einer eigenen "Bezahlkarte" ganz generell in Frage: Es werde dadurch ein System geschaffen, das Geld kostet und tatsächlich nur für eine recht kleine Personengruppe gilt.
Gahleitner-Gertz rechnet vor: "Wir haben 74.000 Personen in der Grundversorgung, 17.000 davon sind Asylwerber. Die Bezahlkarte wäre also ein Parallelsystem, das für 20 Prozent der Personen in Grundversorgung gelten soll. Unter der Voraussetzung, dass auch alle Bundesländer sich auf ein gemeinsames System einigen. Das ist ein Schildbürgerstreich."
Für sinnvoller hielte er eine allgemeine Digitalisierung der Grundversorgung in Kooperation mit einer Bank: Asylwerber und Ukrainer könnten, sobald sie in Österreich ankommen, ein spezielles Konto mit eingeschränkten Funktionen bekommen - Auslandsüberweisungen beispielsweise könne man für die Dauer des Asylverfahrens sperren.
Hinweis: Dieser Artikel wurde wegen einer Aussage des FPÖ-Landesrat Christoph Luisser um 10.30 Uhr aktualisiert.
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