Beschränkung der Menschenrechte derzeit "vertretbar"

Michael Lysander Fremuth wird Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte und Professor an der Universität Wien.
Aussetzen von Grundrechten in Bezug auf die Pandemie sei gerechtfertigt, nicht aber, das Annehmen von Asylanträgen zu verweigern

Die Maßnahmen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie führen zu einer erheblichen Beschränkung der Grund- und Menschenrechte. Angesichts der aktuellen Situation erscheinen diese Maßnahmen allerdings „gegenwärtig vertretbar und rechtskonform“, so die Analyse von Michael Lysander Fremuth, wissenschaftlicher Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte.

Hohes Gut der körperlichen Unversehrtheit

Er begründet seine Einschätzung unter anderem mit der Neuartigkeit der Bedrohung, dem hohen Wert der betroffenen Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit) und Unklarheiten (auch vonseiten der Wissenschaft), wodurch die Krisenbekämpfung einen experimentellen Charakter habe. Fremuth schränkt allerdings ein: „Es bedarf einer fortwährenden Überwachung der Maßnahmen und der Adaption von Erkenntnisfortschritten durch die Staaten. Sobald es vertretbar erscheint, sind die Maßnahmen aufzuheben oder zumindest zu reduzieren.“

Kritik an Griechenland

Die Bekämpfung des Coronavirus selbst entspreche einer grund- und menschenrechtlichen Forderung, dürfe aber zugleich nur unter Wahrung der Grund- und Menschenrechte eingelöst werden. Das bedeute auch, dass Menschenrechtsverletzungen, die nicht unmittelbar mit der Pandemie-Bekämpfung zu tun haben, verhindert werden und mittelbare Auswirkungen kritisch betrachtet werden müssen. Die Corona-Krise sei etwa keine Rechtfertigung für die Ankündigung Griechenlands, für einen bestimmten Zeitraum keine Asylanträge mehr anzunehmen.

China "nicht menschenfreundlicher"

Fremuth warnt außerdem davor, dass bei manchen Menschen der Eindruck entstehen könnte, dass die Corona-Bekämpfung in autoritären Regimes wie China besser gelinge. „Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass die Errungenschaft der Grund- und Menschenrechte nicht preisgegeben werden darf und sich Krisenlösungen auf Grundlage des Rechts und mit Unterstützung der Bevölkerung langfristig womöglich als nachhaltiger, jedenfalls aber als menschenfreundlicher erweisen.“ Immerhin, so Fremuth, könnten in China Sanktionen im Rahmen des Sozialkreditsystems verhängt oder Menschen mit dem Schweißbrenner in ihrer Wohnung eingesperrt werden.

Unkenrufe in Österreich unberechtigt

Für Österreich und Deutschland scheinen dem Wissenschafter „Unkenrufe“, wonach die beiden Länder bereits heute in den autoritären Staat abdriften, „unberechtigt, jedenfalls aber verfrüht“: „Das demokratische System, die Gewaltenteilung, die rechtsstaatliche Überzeugung auch in den staatlichen Organen und nicht zuletzt die Zivilgesellschaft scheinen jedenfalls in Österreich und Deutschland stark genug, um auch diese besondere Krise zu meistern.“

Vorsicht beim Datenschutz

Zu besonderer Vorsicht beim Thema Datenschutz mahnt Dietmar Jahnel vom Fachbereich Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht der Universität Salzburg in einer Aussendung. Das Grundrecht auf Datenschutz sei ein wichtiges Element eines freien, liberalen Rechtsstaats. In einem Krisenfall wie dem aktuellen sei die Gesundheit der Menschen zwar zweifellos schützenswerter als deren Privatsphäre, weshalb im europäischen wie österreichischen Recht auch explizit eine Einschränkung des Datenschutzes zum Schutz der Gesundheit ermöglicht wird.
Diese Einschränkungen - Jahnel nennt als aktuelle Beispiele unbeschränkten Zugriff auf Handydaten, Tracking über die Rotes-Kreuz-App oder die Analyse von Bewegungsprofilen - müssen allerdings auch „erforderlich und verhältnismäßig“ sein. Und: Nach Ende der Krise müssten diese sofort wieder aufgehoben werden - „auch wenn sich die Menschen möglicherweise an die eine oder andere Maßnahme gewöhnt haben sollten“.

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