Steuern sind EU-weit Spitzenthema

Werner Faymann, Wolfgang Katzian, Erich Foglar (v.li.): Die Gewerkschafter legen dem roten Kanzler die Steuersenkungslatte hoch. Rechtzeitig vor dem SPÖ-Parteitag fordern sie für 2015 eine 6-Milliarden-Entlastung
Der ÖGB startet seine Entlastungskampagne, in anderen Ländern ist man schon bei der Umsetzung.

Wir wollen eine große Steuerreform und nicht irgendeine Mickey-Mouse-Aktion." Der rote Spitzengewerkschafter Wolfgang Katzian will den "klaren Wunsch der Bevölkerung" nach Entlastung des Faktors Arbeit und der Einkommen der "Regierung sichtbar machen".

Das geht so: Heute hat der ÖGB-Vorstand den Startschuss für seine größte Kampagne aller Zeiten gegebn. Ziel ist, 500.000 Unterschriften zu erhalten, um damit genug Druck auf die Koalition aufzubauen, damit diese eine entsprechende Entlastung durchführt, erklärte ÖGB-Chef Erich Foglar in einer Pressekonferenz. Im September soll das gebündelte Steuerentlastungskonzept aller ÖGB-Teilorganisationen mit einem Volumen von 6 Milliarden Euro für 2015 vorliegen. Katzian: "Und ab September wird das Konzept in den Betrieben beworben".

Soll heißen: Betriebs- und Dienststellenversammlungen sind wahrscheinlich, aber auch schärfere Protestmaßnahmen nicht ausgeschlossen – sollten sich SPÖ und ÖVP in der Regierung steuerpolitisch weiterhin kämpferisch bis feindlich gegenüber stehen. Der Druck auf Kanzler Werner Faymann zu "liefern", steigt beträchtlich.

Knackpunkt ist die Forderung der Roten nach einer Millionärssteuer als Gegenfinanzierung der Entlastung. Noch sind die schwarzen Christgewerkschafter bei der überparteilichen ÖGB-Entlastungskampagne mit an Bord. Man wird sehen, ob das im Herbst noch immer so ist.

Spannend ist auch, wie unterschiedlich die Steuerdebatte in Europa läuft. Sprich: Was in anderen Ländern angesichts krisenbedingter Schuldenberge geschehen ist und angesichts mauer Aussichten noch geschehen wird. Faktum ist: Hierzulande wird über eine Steuersenkung und Entlastung gesprochen, etliche Steuern wurden aber soeben erst erhöht.

Kanzlerin Merkel sandte am Mittwoch ein für Europa fast sensationelles Signal aus: Ihr Ministerrat beschloss mit dem Budgetentwurf für 2015 den ersten Haushalt ohne neue Schulden – seit 1969. Diese "Schuldenbremse" war seit Langem Merkels und Finanzminister Wolfgang Schäubles (CDU) Hauptziel, für das sie viele Kompromisse mit dem Koalitionspartner SPD eingingen.

Und für das Schäuble der Mittelschicht jetzt die überfällige Anpassung des Steuertarifs an die Inflation verwehrt. Diese "kalte Progression" und der kräftige Wirtschaftsaufschwung generieren nämlich die stark wachsenden Einnahmen, die Schäuble den Schuldenstopp ohne viel Sparen finanzieren helfen.

Erst im Wahljahr 2017 will Schäuble die kalte Progression abmildern. SPD und Gewerkschaften wollen sie hingegen jetzt schon mit einer "Millionärssteuer" gegenfinanzieren. Neue Steuern will Merkel aber strikt verhindern – ebenso neue Schulden. Ihre Wähler tolerieren das, weil nach langer Zeit die Reallöhne auch außerhalb des öffentlichen Dienstes steigen.

Damit ist der private Konsum, befeuert auch durch die Nullzinsen auf Ersparnisse, neben dem Export nun zweite Stütze der momentan guten deutschen Konjunktur.

Experten sehen den Aufschwung aber durch die sozialen Wohltaten der Berliner Koalition gefährdet. Gleich viel deute auf Stagnation wie auf Fortsetzung des Booms. So belastet die von der SPD erzwungene Rückkehr zur "Rente mit 63" die Sozialkassen, ebenso der heute im Bundestag beschlossene Mindestlohn von 8,50 Euro fast ohne Ausnahmen: Auch er kostet Jobs.

Die Regierung des konservativen Premiers Mariano Rajoy hat nach einer Steuererhöhung in der Krise eben eine Steuersenkung beschlossen. Das druckfrische Dokument des Ministerrates vom 20. Juni liegt dem KURIER vor und trägt den Titel "Steuersenkung für alle".

Die Einkommenssteuer soll in zwei Schritten, 2015 und 2016, gesenkt werden. Im Schnitt macht die Reduktion für alle Einkommensbezieher 12,50 Prozent aus. Bei einem Jahreseinkommen von 24.000 Euro brutto oder weniger (72 Prozent der Einkommensbezieher) macht die Senkung 23,5 Prozent aus. Die Einkommenssteuer auf Einkommen von 300.000 Euro und mehr soll vom EU-weit höchsten Steuersatz von 56 Prozent gesenkt werden.

Außerdem sollen im Kampf gegen die Schattenwirtschaft die Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden. So ist etwa geplant, die Gehälter der Hausangestellten abschreiben zu können. Für Kapitaleinkünfte soll es künftig einen einheitlichen Steuersatz geben. Änderungen gibt es auch bei der Körperschaftssteuer. Mit dem seit Langem kritisierten Ungleichgewicht zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, die 30 Prozent Steuern zahlen, und Konzernen, die zwischen vier und elf Prozent zahlen, soll nun Schluss sein. Hier wird ein einheitlicher Steuersatz zwischen 20 und 25 Prozent eingeführt.

Die Verbrauchssteuern (Tabak, Alkohol, Umweltabgabe auf Kraftstoffe) werden – mit Ausnahme der Mehrwertsteuer (21 Prozent) – angehoben. Vermögenssteuern gibt es in Spanien, sie sind regional unterschiedlich. Eine Reichensteuer wurde zuletzt diskutiert, aber verworfen.

Der neue, rote Regierungschef Matteo Renzi hat eine Steuerentlastung für die kleinen und mittleren Einkommen durch das Parlament gebracht. Ende Mai wurde erstmals der Steuerbonus ausbezahlt.

Laut dem Dekret bekommen unselbstständig Erwerbstätige bis zu einem Jahresbrutto von 24.000 Euro einen Steuerbonus von 640 Euro. Zwischen 24.000 und 26.000 Euro sinkt der Bonus degressiv, ab 26.000 Euro beträgt er null. Es profitieren davon knapp 16 Millionen der in Summe 21 Millionen unselbstständig erwerbstätigen Italiener.

Die Maßnahme kostet auf ein Jahr gerechnet zehn Milliarden Euro. Als Finanzierungsmaßnahmen nennt das italienische Finanzministerium die Kürzung von Ermessensausgaben sowie Einnahmen aus einem bevorstehenden Steuerabkommen Italiens mit der Schweiz, in dem ein Datenaustausch über Steuerflüchtlinge vereinbart werden soll.

Bereits die Ankündigung der Steuersenkung durch den sozialdemokratischen Regierungschef hat die Stimmung in dem krisengebeutelten Land gehoben. Die Kauflaune ist auf ein Vier-Jahres-Hoch gestiegen. Das Barometer für das Verbrauchervertrauen kletterte im April, also noch vor der effektiven Steuersenkung, überraschend um 3,5 auf 105,4 Punkte. Ökonomen hatten hingegen einen Rückgang erwartet.

Renzi hat angekündigt, der Steuerbonus sei nur der erste Schritt zu einer grundlegenden Steuerreform, die eine Vereinfachung des Systems bringen soll.

Burschen, wohin geht ihr eigentlich?" Die forsche Frage des SP-Premiers Manuel Valls richtete sich an den linken Flügel seiner Partei und resümiert die Härte der aktuellen steuerpolitischen Debatte in Frankreich.

Valls boxt gerade im Parlament gegen heftigen Widerstand der Linken Maßnahmen durch, die, bis 2017 (dem Ende der Amtsperiode von Staatschef Hollande) den Unternehmern über 40 Milliarden Euro an Abgabensenkungen und den Arbeitnehmern rund 5 Milliarden bringen. Dem stehen 50 Milliarden an Einsparungen im Staatshaushalt gegenüber und das sofortige Einfrieren diverser Sozialleistungen.

Das empört den linken SP-Flügel, der die Abgabensenkungen für die Unternehmen an Auflagen bei der Jobschaffung binden möchte. Der Unternehmerverband klagt umgekehrt über das zu strenge Arbeitsrecht und eine zu langsame Umsetzung der Steuersenkungen.

Tatsächlich leidet Frankreich unter einer De-facto-Stagnation: für 2014 wird mit einem Wachstum von nur 0,7 Prozent gerechnet. Das ist zu wenig, um die seit drei Jahren steigende Arbeitslosenrate zu senken. Das Bevölkerungswachstum spielt eine Rolle, aber vor allem der Einbruch der Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmer verweisen auf hohe Lohnnebenkosten und geringe Margen.

Valls, der im April nach einer SP-Wahlniederlage ins Amt kam, stimmt dem weitgehend zu. Er verabschiedet sich damit von der ersten Phase der SP-Regierung, als der Defizitabbau vor allem über Steuererhöhungen gelingen sollte.

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