ÖVP-Klubobmann Wöginger: "Das sind Zustände, die hat es noch nie gegeben"
ÖVP-Klubobmann August Wöginger ist einer der wichtigsten Verhandler, wenn es um die Bildung einer türkis-rot-pinken Koalition geht. Er gibt sich relativ zuversichtlich.
KURIER: Herr Wöginger, derzeit ist es für Sie ein Verhandlungsmarathon, um zu einer Dreierkoalition zu kommen. Wie hart ist der Weg?
August Wöginger: Es ist sehr intensiv. Wir verhandeln von Montag bis Freitag täglich zwischen sechs und sieben Stunden lang. Aber es geht auch etwas weiter, das ist gut so.
Jetzt sind Sie ein Politiker, der abseits der Verhandlungen am Wochenende immer auch mit der Bevölkerung kommuniziert. Das Bild, das die Verhandlungen in der Öffentlichkeit abgeben, ist nicht so harmonisch und zielgerichtet, wie Sie das gerade gesagt haben. Viele fragen sich, ob alles zu einem erfolgreichen Ende kommt.
Da bin ich auf unseren Cluster, der die Themen Arbeit, Soziales, Pensionen, Gesundheit, Pflege und Familie umfasst, sehr stolz, weil von dort noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Das hat aus meiner Sicht eine besondere Qualität. Mit den Kollegen Josef Muchitsch von der SPÖ und Johannes Gasser von den Neos funktioniert das gut. Natürlich kann man nicht zu 100 Prozent verhindern, dass etwas nach außen dringt. Insgesamt möchte ich schon sagen, dass es Neuland ist, zu dritt zu verhandeln. Aber wir haben eine gute Atmosphäre und verhandeln auf Augenhöhe.
Es hat aber schon immer wieder Wortmeldungen aus den drei Parteien gegeben, die für Irritation gesorgt haben. Das wird jedes Mal sofort als Uneinigkeit angesehen.
Wichtig ist, dass diese Koalition der Mehrheit aus der Mitte heraus auch vernünftige Lösungen für die Zukunft zusammenbringt. Wir haben da einige Themenbereiche, wo Handlungsbedarf besteht. Das ist zuerst die Wirtschaft, die Standortfrage, die Wettbewerbsfähigkeit. Wie können wir den Wohlstand im Land erhalten? Zweitens müssen wir uns der Zuwanderungs- und Integrationsfrage stellen. Dann gibt es da noch den Gesundheits- und Pflegebereich sowie die Bildungsfrage. Wichtig ist auch, dass es sozusagen ein Verständnis dafür gibt, diese staatspolitischen Aufgaben gemeinsam zu lösen. Das kann diese Dreierverbindung schaffen.
Hat es bisher noch keinen Moment gegeben, an dem man gesagt hat, jetzt stehen die Gespräche an der Kippe zum Scheitern?
Nein. Natürlich gibt es unterschiedliche Positionen und mediale Begleiterscheinungen, die dann wieder ausgeräumt werden müssen. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir keine Vermögens- und Erbschaftssteuern wollen. Oder dass wir den Bedarf einer Ausgabenbremse haben, um das Budget zu konsolidieren. Ich bin aber der Meinung, dass das lösbar ist.
Wenn wir schon über Steuern reden: Kanzler Karl Nehammer hat zuletzt überraschend gesagt, dass es auch neue Steuern geben könnte. Etwa bei der Grundsteuer.
Er hat das folgendermaßen gesagt. Die Priorität ist einmal auf der Ausgabenbremse. Wir müssen ausgabenseitig das Budget durchforsten. Und er hat gesagt, dass es mit ihm keine Vermögens- und Erbschaftssteuern gibt. Drittens hat er gesagt, dass es aber insgesamt keine Denkverbote geben darf. Wichtig ist, dass wir die Konsolidierung zusammenbringen. Ich bin guter Dinge, dass wir das schaffen.
Zeitdruck ist aber dadurch gegeben, dass sich die wirtschaftliche Lage von Tag zu Tag verschlechtert. Vor allem in der Industrie gibt es fast nur Negativmeldungen.
Wir arbeiten auch wirklich auf Hochtouren, das möchte ich schon sagen. Die Arbeitsgruppen tagen durchgehend. Wir haben sieben große Übergruppen mit 33 Untergruppen und an die 250 Personen, die tagtäglich verhandeln. Wir tun hier alles, um schnell voranzukommen. Aber die Themen müssen auch ausgeredet werden, sonst würden die Verhandlungen keinen Sinn machen.
Karl Nehammer hat die Chancen mit 50:50 eingeschätzt, dass es eine Dreierkoalition geben wird. Wie sehen Sie die Chancen?
Die Chancen sind nach wie vor gegeben. Bei Prozentzahlen bin ich vorsichtig, aber ich habe ein gutes Gefühl, dass wir uns auf viele Punkte einigen werden. Es geht auch darum, dass diese Koalition bei den wichtigen Aufgabenbereichen auch wirkliche Pilotprojekte vorzeigen wird können.
Manchmal entsteht aber der Eindruck, dass es diese Dreierkoalition nur geben wird, damit FPÖ-Parteichef Herbert Kickl nicht Kanzler werden kann.
Das sehe ich anders. Es ist mir wichtig, dass es eine Koalition der Mitte ist. Extrempositionen werden dieses Land nicht weiterbringen.
Somit ist für Sie die SPÖ trotz ihrer zuletzt sehr linken Positionen wieder in die Mitte gerückt?
Die SPÖ ist ja nicht nur Parteichef Andreas Babler. Wir haben in der SPÖ auch Bewegungen bzw. Landesorganisationen, mit denen wir zum Teil auch in einer Koalition sind. Ich denke da an Kärnten oder Tirol. Die SPÖ ist eine traditionelle Partei, die schon auch in der Mitte steht, selbst wenn es Ansätze gibt, die weiter links einzustufen sind. Deshalb würde ich auch sagen, dass ÖVP, SPÖ und Neos insgesamt eine Koalition der Mitte sind. Und eine Koalition der Mehrheit, die die dringenden Fragen lösen kann.
Als ÖVP-Politiker muss Ihnen die jüngste Entwicklung Sorge bereiten. Mittlerweile sitzt die FPÖ in fünf Landesregierungen, in der Steiermark stellt sie mit Mario Kunasek sogar den Landeshauptmann. Derartig mächtig war die FPÖ auf der Ebene der Bundesländer bisher noch nie.
Es ist eine Partei, die demokratisch gewählt wird. Als Oberösterreicher kann ich nur sagen, dass wir jetzt neun Jahre lang mit der FPÖ regieren, und es funktioniert auch. Es hängt immer stark von den Personen ab, die diese Partei führen. Wir haben immer gesagt, dass mit Herbert Kickl kein Staat zu machen ist. Wer die letzte Nationalratssitzung verfolgt hat, weiß, warum.
Hat sich das Niveau seit der Nationalratswahl so verändert?
Ja. Ich habe das auch genau beobachtet. Es ist in erster Linie nur einer Partei, der FPÖ, zuzuschreiben, dass die Stimmung so ist, wie sie ist. Deswegen kann es auch niemanden wundern, wenn dann die Bevölkerung sagt: Um Gottes willen, wie geht es da im Parlament zu. Wir haben uns wirklich bemüht, sachlich zu bleiben. Aber wenn uns von der FPÖ vorgeworfen wird, dass wir in der Corona-Zeit teilweise das Parlament ausgeschaltet haben, dann ist das eine unglaubliche Entgleisung eines FPÖ-Abgeordneten. Das kann man nicht so stehen lassen.
Zum ausführlichen Gespräch mit ÖVP-Klubchef Wöginger
Ein Mann, der da eingreifen könnte, wäre der neue Parlamentspräsident Walter Rosenkranz von der FPÖ. In der ersten Nationalratssitzung hat die ÖVP den Usancen folgend für ihn gestimmt. Wie steht man jetzt dazu?
Dieser Vertrauensvorschuss ist beinahe verbraucht, das möchte ich ganz offen sagen. Rosenkranz und ich waren damals Klubobleute in der Zeit der türkis-blauen Bundesregierung. Ich schätze ihn auch als Person sehr. Aber die Aktionen, die da in den ersten Wochen seiner Amtszeit gesetzt wurden, haben mich überrascht und enttäuscht. Ich habe nichts dagegen, dass er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban einlädt. Aber dass dann Kickl als einziger Klubobmann dort dabei ist und die Europafahne hinausgetragen wird, das geht nicht.
Sie wurden nicht eingeladen?
Nein, wir wurden nicht eingeladen. Aber das ist ja nicht das Einzige. Jetzt gibt es noch das Auslieferungsbegehren für drei FPÖ-Abgeordnete, die bei einem Begräbnis ominöse Lieder gesungen haben. Und dann wird tagelang dieses Begehren nicht an die Klubs verteilt. Das sind Zustände, die hat es noch nie gegeben.
Seit ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wissen wir, dass dieses Amt eben auch sehr viel Macht verleiht.
Da muss ich schon klarstellen: Wolfgang Sobotka hätte das nie gemacht. Er hätte nie nur einen Klub eingeladen, geschweige denn ein Auslieferungsbegehren zurückgehalten. Wir sind der Meinung, so etwas kann ein Nationalratspräsident auch nicht tun. Deswegen verlangen wir auch, dass sich das ändert.
Zurück zu den aktuellen Koalitionsverhandlungen: Können Sie schon einen Zeitpunkt andeuten, bis wann es eine neue Regierung geben kann?
Es wäre zu früh, dazu schon etwas zu sagen. In der kommenden Woche gibt es jetzt einmal den Zwischenbericht, und dann sehen wir weiter.
Der 50-jährige Oberösterreicher zählt in der ÖVP zum engsten Führungskreis rund um Bundeskanzler Karl Nehammer. Der Innviertler ist seit dem 16. Lebensjahr politisch aktiv.
Er war Gemeinderat und sogar Vizebürgermeister in seiner Heimatgemeinde Sigharting. In OÖ ist er außerdem seit 2010 Bezirksparteiobmann und seit 2014 Landesparteiobmann-Stellvertreter.
Auf Bundesebene sitzt er seit 2002 im Nationalrat, seit 2017 ist er ÖVP-Klubobmann. Außerdem steht er seit 2016 an der Spitze des ÖAAB
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