Arbeitsmarkt 2020: An welchen Schrauben man jetzt drehen muss

Eine Auszeichnung „Best for AMS Arbeitsmarktservice Wien“ in Form einer stilisierten Figur.
Die Arbeitslosigkeit eine Gefahr fürs Budget? Sechs Thesen von A wie Ausländer bis Z wie Zumutbarkeit.

Die Ossis aus Deutschland kommen auf Saison nach Salzburg und Tirol, um in Österreich die besser verdienenden Wessis in ihrem Ski-Urlaub zu bekochen und zu bedienen. Das war viele Jahre so.

Noch immer gilt: Der arbeitslose Koch oder Kellner aus Ostösterreich will nicht in Westösterreich jobben, freie Stellen hin oder her. Es ist zu weit, die Arbeitsbedingungen sind mies, mit dem Arbeitslosengeld in Wien geht es sich schon irgendwie aus.

Vorurteil oder nicht, die Regierung will das ändern und zur Finanzierung der Steuerreform und anderer Projekte an etlichen „großen Schrauben drehen“. Eine steigende Arbeitslosigkeit sei „Gift“ für das Budget, nannte Kanzler Kurz als Beispiel.

 

Eine Grafik zeigt die Entwicklung der Arbeitslosenquote in Österreich von 1946 bis 2019.

Aber was sind die Schrauben, an denen für eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu drehen wäre?

Eine Frau mit Brille stützt ihr Kinn mit der Hand.

Gudrun Biffl

Der KURIER hat mit der renommierten Arbeitsmarktexpertin Gudrun Biffl und mit AMS-Vorstandschef Herbert Buchinger diskutiert und daraus sechs Thesen entwickelt.

1. Ältere Arbeitslose

Wenn am Montag die neueste Arbeitslosenstatistik veröffentlicht wird, sind alle Augen auf die Problemgruppen gerichtet. 2019 waren die über 50-Jährigen die einzige Gruppe, in der die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Die Älteren sind oft „zu krank für den Job, aber zu gesund für die Pension“, sagen die Fachleute. Das bessere „Targeting“ der Bedürfnisse einzelner Zielgruppen und das effizientere „Matching“ zwischen Arbeitslosen und offenen Stellen zählen zu den größten Herausforderungen für das AMS.

Ein Schild des AMS Berufsinfocentrums mit der Aufschrift „Herzlich willkommen!“.

2. Ausländer

Die Flüchtlingsfrage bleibt ein Dauerbrenner, dabei kommen die meisten Zuwanderer aus der EU: Polen, Tschechen, Ungarn oder Kroaten, wenn am 1. Juli die letzte Übergangsfrist fällt. Sie haben auch im Tourismus in Westösterreich die Ostdeutschen verdrängt. Die Probleme dieser Zuwanderer mit denen der Geflüchteten zu vermischen, bringt nichts. Die einen kommen meist als Fachkräfte nach Österreich – oft genug mit passablen Sprachkenntnissen. Die Asylberechtigten landen hingegen in der Regel auf mies entlohnten Aushilfsjobs und haben nach neuerer Rechtslage nur einen drei Jahre gültigen Aufenthaltstitel. Angefangen vom Deutschkurs ist hier Unterstützung willkommen.

3. Digitalisierung

Jetzt werden neue Lehrberufe beworben, sie kommen bloß reichlich spät. Die IT-Branche rekrutiert seit vielen Jahren vor allem HTL- oder TU-Absolventen, von denen es nie genug gibt. Ein Problem ist: Die Lehre ist heute viel anspruchsvoller, in technischen Berufen braucht es manchmal schon höhere Mathematik. Die Lehre für Erwachsene und die Lehre nach der Matura können hier Positives bewirken.

Das Schild der Arbeitsmarktservice (AMS) Geschäftsstelle am Esteplatz.

4. Missbrauch

Die Sanktionen gegen Kurs- oder Job-Verweigerer sind bereits hart und werden auch immer öfter verhängt. Bei erstmaliger Ablehnung einer AMS-„Maßnahme“ wird das Arbeitslosengeld für sechs Wochen, beim zweiten Mal für acht Wochen, beim dritten Mal gänzlich gestrichen. Echte Arbeitsverweigerer finden sich wirklich selten.

Ein weniger beachteter Missbrauch stellt das „Zwischenparken“ der Arbeitslosen zwischen zwei Jobs oder zwei Saisonen beim AMS dar – also auf Kosten der Allgemeinheit. Fast ein Drittel aller Arbeitslosen macht das übers Jahr aus. Eine Idee ist: Das Arbeitslosengeld wird nicht sofort, sondern erst nach einer zweiwöchigen Wartefrist ausbezahlt. Damit sinkt der Anreiz, „absichtlich“ arbeitslos zu werden. Auch die Arbeitgeber sollten daran finanziell beteiligt werden.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar und einem dunklen Anzug.

AMS-Chef Herbert Buchinger

5. Ost nach West

Schon jetzt kann das AMS in Wien einen arbeitslosen Koch z.B. nach Sölden vermitteln. Es gibt nur noch zwei Bedingungen: Der Arbeitgeber im Ötztal muss ein Quartier bereitstellen und daheim in Wien darf der Koch keine Betreuungspflichten haben. Vielfach wollen die Arbeitgeber im Westen aber gar keine „grantigen“ Wiener. Das hört man teilweise schon in Linz.

Werden die Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft, bringt das mehr AMS-Sanktionen, aber nicht mehr Jobs oder Vermittlungen. Die Lösung: Geduld, die Situation wird langsam besser, große Wunder sind freilich nicht zu erwarten.

6. Qualifikation

Letztlich ist Bildung, Bildung und nochmals Bildung der Schlüssel zum Erfolg. Die Aufwertung der Lehre kann helfen, Weiterbildung für Beschäftigte ebenso. Fakt ist: Bei Menschen mit Lehrabschluss liegt die Arbeitslosigkeit bei sechs Prozent, mit Pflichtschule sind es 20 Prozent.

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