Andreas Khol: "Warum immer nur negativ?"

Andreas Khol: "Warum immer nur negativ?"
Gedanken zum Gedenken. Andreas Khol ist Ex-Nationalratspräsident der ÖVP

In 100 Jahren viele Probleme gelöst! Ein Höhepunkt im Gedenkjahr 2018:  das Parlament lädt ins Palais Niederösterreich. Dort hatten vor 100 Jahren die deutschsprachigen Reichsratsabgeordneten als provisorische Nationalversammlung den neuen,  unabhängigen Staat Deutschösterreich ausgerufen. Am 12. November erklärt die Nationalversammlung Deutschösterreich zur Republik und zum Bestandteil der deutschen Republik. Nationalratspräsident  Mag. Wolfgang Sobotka verliest diese Beschlüsse und mir wird plötzlich bewusst:  Welch‘  weiten Weg sind wir in den letzten 100 Jahren gegangen!

Würde heute ein Politiker Österreich als Teil der deutschen Republik  bezeichnen  und von Deutschösterreich sprechen, streifte er am Kriminal  an:  Wiederbetätigung,  oder gar Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts!? Vor allem aber träfe er auf nahezu einhelligen Widerspruch in der Bevölkerung.  Österreich ist in diesen 100 Jahren zur eigenständigen Nation geworden:  wirtschaftlich blühende, friedliche und friedfertige, hochgeschätzte Heimat. Bei Befragungen bekennen sich über 90% ganz unbefangen und selbstverständlich zur österreichischen Nation. Ja was denn sonst!?

1918 war es genau umgekehrt: nur ganz wenige sahen sich nicht als Teil Deutschlands. Österreich war nach dem Diktat der Siegermächte der traurige Rest, der von der Monarchie übrig blieb, nachdem sich alle anderen bedient hatten…  und dem man den Namen Österreich aufzwang, das „Deutsch“ musste weg! Damals wurde daraus eine Republik, die keiner wollte. Tief gespalten, zerstritten, gewalttätig. Die einen wollten eine sozialistische Republik und sprachen ihre Ziele deutlich aus: „ Demokratie, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel“ Die anderen  lehnten die Parteiendemokratie ab und wollten einen autoritären Führerstaat.  Und viel zu viele wollten „heim ins Reich!“  Heute ist die staatliche Selbständigkeit ebenso unbestritten, wie die repräsentative, parlamentarische Demokratie. Ein Führerstaat wir deutlich abgelehnt!

Ähnliche  positive Kehrtwendungen gibt es für die meisten der damals drückenden Probleme des Landes. So wurde Österreichs kulturelle Eigenständigkeit geleugnet.  Heute ist der Beitrag der österreichischen Kultur auf allen Gebieten hochgeschätzt.  Die wirtschaftliche Lebensfähigkeit  des „Bürokratenstaates“ wurde bezweifelt:  heute ist Österreich eines der wohlhabendsten Länder der Welt und steht auf kräftigen wirtschaftlichen Beinen. Österreich war damals außenpolitisch  restlos isoliert. Heute hat Österreich seinen Platz in der Europäischen Union, spielt dort eine wichtige Rolle und ist von Freunden umgeben.

Aus Österreich ist ein Staat geworden, „den alle wollen“.

Das alles ging mir durch den Kopf, als ich den Ablauf des Gedenkjahrs  hinterfragte.  Der ORF hat zahlreiche Sendungen gestaltet: im Fernsehen und im Hörfunk, auf Ö 1 und ORF III. Umfassend, anregend, aufschlussreich und manch  Revisionistisches. Eine Botschaft zog sich durch alle Sendungen:  Kriegselend,  Niederlage, Vertreibung, Konflikt, Parteienstreit, Gewalt, Schuld, Sühne, zu wenig Sühne,  Zusammenbrüche, Gefahren  für die Demokratie heute, kurzum:  das Negative – das es gab und gibt, und das nicht verdrängt werden darf.  Nur wenige der Sendungen waren überflüssig – ich bin fast allen gefolgt. Aber gefehlt haben mir die Sendungen, die den unglaublichen Erfolg Österreichs in allen Bereichen dokumentieren, und die Fortschritte gegenüber 1918  herausstellen. Die unbestreitbaren Ergebnisse eines Schulungswegs von uns allen, unseren Eltern und Großeltern.

Als Österreicher mit Südtiroler Wurzeln hätte ich mir auch eine Sendung zum Schicksal Südtirols erwartet.  Tirol kam 1918 unters Beil. Die seit 1945 erkämpfte Autonomie, verbunden mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die Schaffung der Europaregion Tirol, haben die Grenzen verschwinden lassen und eine faktische Landeseinheit wieder hergestellt!  Darüber, aber auch über die positiven Entwicklungen im Burgenland, in Kärnten und der Steiermark, hätte ich gern mehr gesehen und gehört!

 

Kommentare