Hat die kommende Regierung jetzt schon verloren? Mit Blick auf das hohe Budgetdefizit könnte man diesen Befund durchaus treffen.
Auch die neue Prognose der Nationalbank (OeNB) zeigt: Österreich muss in den kommenden Jahren sparen und gleichzeitig die richtigen Maßnahmen treffen, um das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Für eine mögliche Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos heißt das: Sie muss unpopuläre Entscheidungen treffen, direkt zu Beginn ihrer Amtszeit.
Da wäre erstens die Frage, wie sie das Budget konsolidieren will. ÖVP und Neos sehen genügend Sparpotenzial bei den Ausgaben: Klimabonus und Förderungen kürzen, Ausgaben der Ministerien bremsen. Den größten Brocken, die Pensionsausgaben, will die ÖVP, im Gegensatz zu den Pinken, aber eher nicht angreifen.
Die SPÖ plädiert wiederum für neue Einnahmen – vor allem über vermögensbezogene Steuern. Hier zeigte ÖVP-Chef Karl Nehammer bisher nur bei der Grundsteuer Gesprächsbereitschaft. Die brächte aber nicht die erhofften Milliarden. Und hier folgt das nächste Problem: Wie viel muss Österreich überhaupt sparen und wie viel Einfluss soll die EU darauf nehmen dürfen?
Sparbedarf offenbar größer als gedacht
Zum Sparbedarf: Die OeNB geht davon aus, dass Österreich 2025 sogar 7,1 Milliarden Euro einsparen muss, um die Maastricht-Kriterien der EU zu erfüllen. Also noch mehr, als in den bisher düstersten Prognosen angenommen. Ähnlich sollen laut KURIER-Informationen die Zahlen ausfallen, die der Fiskalrat am Montag präsentieren wird. Maastricht erlaubt ein jährliches Defizit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bis spätestens Montag dürfte auch die EU-Kommission ihre Einschätzung zu Österreichs Budgetlage vorstellen.
Und hier folgt das aktuell wohl größte Dilemma: Türkis-Rot-Pink müsste der Kommission bis Mitte Jänner ein Maßnahmenpaket vorlegen. Und dieses muss Brüssel davon überzeugen, dass Österreich die Maastricht-Kriterien 2025 und darüber hinaus einhalten kann. Als einer von fünf EU-Staaten hat Österreich Brüssel noch keinen Plan übermittelt – aufgrund der Nationalratswahl.
Legt die neue Regierung kein Paket vor, wird die EU-Kommission ein Defizitverfahren (üD-Verfahren) gegen Österreich einleiten. Legt sie ein Paket vor, das Brüssel nicht überzeugt, folgt ebenfalls ein üD-Verfahren.
„SPÖ wehrt sich mit allem, was sie hat“
Welcher Ansatz ist der richtige? Die SPÖ hat ihre Entscheidung bereits gefällt. Sie zieht das üD-Verfahren vor.
Der Grund: Österreich stünde dann zwar unter Aufsicht der Kommission, dürfte in den nächsten Jahren aber weiterhin Schulden machen, die über den Maastricht-Kriterien liegen. „Die SPÖ wehrt sich mit allem, was sie hat, gegen Einsparungen“, sagt ein Verhandler. Die FPÖ weidete sich schon am Freitag genüsslich an der Argumentation der Sozialdemokratie.
Mandatar und Top-Manager Arnold Schiefer spricht via Aussendung von einer wirtschaftspolitischen Bankrotterklärung: „Es ist möglich, das EU-Defizitverfahren – aus eigener Kraft und ohne neue Steuern – zu Jahresbeginn abzuwenden.“ Schiefer schlägt die Kürzung des Klimabonus oder der Bildungskarenz vor. Ein EU-Defizitverfahren würde Österreichs Bonität auf den internationalen Finanzmärkten verschlechtern, so Schiefer.
Und nicht zuletzt würde man „freiwillig“ Kompetenzen nach Brüssel abtreten und sich „teilentmündigen“ lassen. Stimmt das? Laut den neuen EU-Fiskalregeln, die seit 30. April gelten, kann Österreich sein Budget entweder über einen vier- oder einen siebenjährigen Zeitraum sanieren. Der Sieben-Jahres-Pfad sieht zwar noch geringere Einsparungen vor, die EU hätte aber ein stärkeres Mitspracherecht.
Welche Einsparungen die EU empfiehlt
Mehrere Spar-Empfehlungen der Kommission an Österreich widersprechen insbesondere dem SPÖ-Programm. Die Kommission hält unter anderem Österreichs Pensions- und Gesundheitssystem für überteuert. Theoretisch könnte ein üD-Verfahren dazu führen, dass Österreich hier Einschnitte vornehmen muss. Auch deshalb überrascht das klare Plädoyer der SPÖ für ein Defizitverfahren.
Wobei: Auch ÖVP und Neos ist bewusst, wie „politisch diffizil“ die Situation ist. Spart die Regierung zu schnell zu viel, sind große Reformen kaum umsetzbar. Unternimmt sie nichts, sitzt – in der FPÖ-Version – demnächst die EU-Kommission im Finanzministerium.
Im schlechtesten Fall legt man ein Sparpaket vor, das der EU nicht reicht – und es folgt erst recht ein üD-Verfahren. Türkis-Rot-Pink würde dann gleich zu Beginn eine saftige Niederlage einstecken.
So oder so: Es gibt kaum ein Szenario, das die FPÖ kommunikativ nicht ausschlachten wird. Sie kann gleich mehrere ihrer Erzählungen weiterführen: wie behäbig und reformfaul eine Dreierkoalition sei, oder wie sich die EU in den Nationalstaaten einmische.
Experten fürchten „Reputationsverlust“
Wie beurteilen Experten die Situation? „Wir sollten alles dafür tun, ein üD-Verfahren für Österreich zu verhindern“, sagt Finanzminister Gunter Mayr. Die EU-Fiskalregeln einzuhalten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein: „Auch deswegen, weil durch ein solches Verfahren die internationale Reputation Österreichs leiden könnte.“ Der Minister plädiert dafür, Ausgaben zu reduzieren, statt auf neue Steuern zu setzen.
Einen Reputationsverlust hält auch WIFO-Ökonomin Margit Schratzenstaller für möglich. Ein üD-Verfahren dürfe zudem nicht dazu führen, „dass der Druck auf die erst mittelfristig wirksamen Strukturreformen abnimmt“.
Vorteil eines üD-Verfahrens: Österreich müsste weniger sparen und keine Maßnahmen setzen, die das Wirtschaftswachstum noch stärker senken – wie eine Erhöhung der Körperschaftsteuer für Unternehmen.
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