Das Urteil zeigt, dass Geheimnisse offenbar relativ sind: Sie dürfen ausgeplaudert werden, solange man damit niemandem schadet.
Das ist freilich sehr vereinfacht ausgedrückt – es zählt immer die individuelle Betrachtung eines Falles. „Das Gericht muss sich konkret damit auseinandersetzen, ob das Ausplaudern des Geheimnisses dazu geeignet ist, öffentliche oder berechtigte private Interessen zu verletzen“, erklärt Strafrechtsexperte Alois Birklbauer von der Uni Linz.
Die „Eignung“ ist ein wesentliches Merkmal – nur dann ist der Straftatbestand auch erfüllt. Und das „Interesse“ ist ein dehnbarer Begriff.
Das Amtsgeheimnis werde heute zurückhaltender interpretiert als noch vor einigen Jahren, sagt der Strafrechtsprofessor. Durch die Ereignisse seit dem Platzen der Ibiza-Affäre ist das öffentliche Interesse an parteipolitischen Machenschaften, Mauscheleien und damit verbundenen Ermittlungen der Justiz deutlich gestiegen. „Dieser Wertewandel in der Gesellschaft schlägt sich auch in der Rechtsprechung nieder“, sagt Birklbauer. Heißt: Die privaten Interessen von Personen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, werden seltener als „berechtigt“ und damit schützenswert angesehen. Das zeigte sich zuletzt rund um Chats von Ex-Finanz-Generalsekretär Thomas Schmid mit ÖVP-Politikern, die über den U-Ausschuss Schlagzeilen gemacht haben.
Das Pilnacek-Urteil am OLG könnte wegweisend sein, sagt Birklbauer, man müsse sich die Begründung aber noch im Detail anschauen.
Im eingangs erwähnten Fall geht es um Vorgänge innerhalb der Justiz: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hatte eine Presse-Journalistin nach einem kritischen Artikel angezeigt. Sektionschef Pilnacek verriet das einer KURIER-Journalistin, die aber erst darüber berichtete, als die Anzeige zurückgelegt wurde. Pilnacek erklärte vor Gericht, er sah in der Anzeige einen Anschlag auf die Pressefreiheit und sei empört gewesen. Er habe aber nicht vorgehabt, der WKStA zu schaden, indem er darüber mit einer Journalistin spricht, der er persönlich vertraut. Das Gericht glaubte ihm das.
Pilnaceks Anwalt Dieter Böhmdorfer hätte eine Verurteilung als absurd empfunden, machte er vor Gericht deutlich: Damit wäre jedes Kaffeekränzchen mit Beamten, jeder Gedankenaustausch oder auch jede Vorab-Mitteilung mit vereinbarter Sperrfrist, die Journalisten oft die Arbeit erleichtert, strafbar geworden.
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