Altkanzler Kurz über Putin: "Eskalation hat niemand vorhersehen können"
Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und seine möglichen globalen Folgen waren Thema beim Swiss Economic Forum in Interlaken in der Schweiz. Dort hatte auch der österreichische Altbundeskanzler Sebastian Kurz einen Auftritt.
Kurz hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in seiner Amtszeit als Außenminister und als Bundeskanzler mehrmals getroffen - und schilderte seine Eindrücke.
Vorweg sagt er: Die Eskalation in der Ukraine hätte niemand kommen sehen - auch er nicht. Er hätte niemals nachvollziehen können, wo das strategische Interesse Russlands hätte sein können, die Ukraine anzugreifen, und er verstehe es bis heute nicht.
Ob das Vorgehen der EU gegenüber Russland falsch gewesen sei? Mit derlei "was wäre wenn" tue er sich schwer, sagt Kurz. Die Frage müsse nun eher sein, was getan werden muss, um wieder herauszukommen.
Nehammer "macht das grundsätzlich sehr gut"
Was also wird getan? Kurz' Nachfolger im Amt, Karl Nehammer, ist zu Putin gereist und hat mit ihm das Gespräch gesucht. Hätte Kurz das auch getan, fragt ihn die Moderatorin? Nehammer sei sein Innenminister gewesen, erinnert Kurz - er habe immer ein gutes Verhältnis mit ihm gehabt und fände "es grundsätzlich sehr gut, wie er das macht".
Zu möglichen Szenarien in der Zukunft sagt Kurz: "Die Schwierigkeit ist, dass Russland die Wehrhaftigkeit der Ukraine unterschätzt hat und es jetzt kein Zurück mehr gibt. Die gute Nachricht ist: Alle Kriege haben irgendwann mit Verhandlungen geendet. Insofern ist es meine Hoffnung, dass es nicht zu einer totalen Eskalation kommt. Das Restrisiko, dass es noch schlimmer kommt, als man dachte, ist aber immer da."
Es setze Hoffnungen in den Istanbuler Prozess, dieser könne ein vernünftiges Dialogformat werden. Eine "absolut perfekte Lösung" könne es aber niemals geben - der Krieg könne statt mit Frieden auch mit einem "frozen conflict" enden.
Power Play oder Dialog?
Über seinen Eindruck von Russlands Präsidenten Putin schildert er: "Immer, wenn ich ihn damals getroffen habe, war eines der ersten Themen, die er angesprochen hat, dass Versprechungen nicht eingehalten wurden, dass die NATO immer weiter in Richtung Russland rückt."
Österreich und er persönlich, "als Vertreter eines kleinen, neutralen Landes, mit militärisch überschaubaren Mitteln, waren nicht diejenigen, die gesagt haben: jetzt braucht es ein Power Play, wir suchen die Auseinandersetzung. Wir waren immer der Meinung, der Dialog ist der bessere Weg." Niemand werde jemals die Frage beantworten können, wer am Ende recht hat.
"Da kommt Gewaltiges auf uns zu"
Kurz blickt mit Sorge auf den Krieg: Neben dem "unendlichen Leid" in der Ukraine könne dieser Krieg Auswirkungen haben, die man jetzt noch gar nicht im Blick habe - beispielsweise eine Lebensmittelknappheit in Afrika. "Da kommt Gewaltiges auf uns zu", sagt Kurz.
Darüber hinaus erlebe man gerade, dass die Welt zweigeteilt werde - in Westen und in Osten. Kurz: "Das ist eigentlich nicht die Welt, in der ich leben möchte." Er hoffe jedenfalls, dass das Gegeneinander überwunden werde und das globale Miteinander fortgesetzt werden könne.
Angesprochen wurde auch das Thema Neutralität. Laut einer Umfrage wollen 75 Prozent der Österreicher daran festhalten. Wie denkt der Ex-Kanzler darüber? "Es ist nicht mehr meine Entscheidung", sagt Kurz - als Staatsbürger sagt er aber: "Ich fühle mich wohl, in einem neutralen Land zu leben."
Und: "Neutralität heißt ja nicht, keine Meinung zu haben", betont Kurz. Die Neutralität gebe Österreich - und auch der Schweiz - die Möglichkeit, Sanktionen zu unterstützen und eine politische Meinung zu äußern.
Comeback und Fehler
Der Ex-Kanzler wird darauf angesprochen, dass er noch Kontakt mit den Klitschko-Brüdern hat - und gefragt, ob ihn die Politik noch immer reizt, ob er an ein Comeback denkt.
Kurz holt länger aus, sagt dann: "Ich bin sehr glücklich dort, wo ich jetzt bin (Anm.: Global Strategist bei Thiel Capital in den USA). Aber das ändert natürlich nichts daran, dass ich Freundschaften und mein Interesse an der Welt bewahre."
Noch eine persönliche Frage: Ob er wisse, welche Fehler er gemacht hat? "Ich habe täglich Fehler gemacht, weil man jeden Tag unzählige Entscheidungen trifft", sagt Kurz. Wenn man sich das selbst nicht eingestehe, sei man nicht an der richtigen Stelle. "Ich habe immer versucht, das beste zu geben und hoffe, dass ich zumindest die Hälfte meiner Entscheidungen richtig treffe."
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