Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam
Die SPÖ verzichtet in der Corona-Krise auf ihren traditionellen Maiaufmarsch – und überlässt damit anderen die große Bühne.

Eigentlich wären die Bedingungen perfekt für ein bisschen sozialistischen Klassenkampf: Das Land erlebt eine veritable Krise, die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie noch nie in der Zweiten Republik. Und auch das Wetter spielte mit am gestrigen 1. Mai. (Gutes Wetter, das weiß man, ist Grundbedingung für funktionierende Revolutionen.)

Und doch war bereits am frühen Vormittag klar, dass die SPÖ den Kampf verloren hat. „Den 1. Mai fallen lassen ist Kapitulation“ steht auf einem quietschgelben Transparent, das einige Linksalternative zu diesem Zeitpunkt mitten auf dem Wiener Rathausplatz entrollen. Ein paar Meter weiter gibt der Wiener FPÖ-Chef (ja, FPÖ – nicht SPÖ) dem ORF ein Interview. „Es ist das erste Mal, dass hier am 1. Mai nicht ein Sozialist die Rede hält“, sagt Dominik Nepp. Die Freude ist ihm ins Gesicht geschrieben.

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Dafür, dass die offiziellen Feierlichkeiten der SPÖ zum 1. Mai abgesagt sind und ins Internet verlegt wurden (siehe unten), ist also einigermaßen viel los vor dem Wiener Rathaus, dem traditionell roten Aufmarschgebiet am Tag der Arbeit. 15 Kundgebungen wurden bei der Polizei im Vorfeld beantragt.

Wer fehlt, ist die SPÖ. Oder zumindest fast. Die Wiener Sozialdemokraten haben ein kleines Trüppchen – angeführt von Landesparteisekretärin Barbara Novak – abgestellt, das seit der Früh einige Meter vor dem Rathausplatz Wache hält.

Die Abordnung hat sich neben mehreren überdimensionalen Plakatwänden mit noch überdimensionaleren Nelken positioniert. Der Auftrag: Man wolle ältere Genossen, die „aus Gewohnheit und instinktiv“ am 1. Mai auf den Rathausplatz kommen, abfangen. Die Gesundheit gehe vor. Bilder von Anhängern, die hier – im schlimmsten Fall ohne nötigen Sicherheitsabstand – rote Fahnen schwenken, sind in Zeiten des Coronavirus nicht erwünscht.

Unverständnis

Die Leere lässt den Platz unwirklich erscheinen. Der Wiener ist den Anblick nicht gewöhnt. In einem normalen Jahr ist der 8.500 Quadratmeter große Platz rund 200 Tage für Veranstaltungen gebucht, die Auf- und Abbauarbeiten dauern weitere 150 Tage. Im Jahr 2018 war er nur an zehn Tagen unbespielt. Der leere Platz sei „ein Jahrhundertereignis“, sagt auch eine Dame, die gleich für ein Handyfoto posieren wird.

Bei den meisten, die kommen, überwiegt das Unverständnis über die Sozialdemokratie. „Geht auf die Straße, geht irgendwie auf die Straße“, hätte die SPÖ als Parole ausgeben sollen, meint ein älterer Mann, der schnurstracks an der SPÖ-Parteisekretärin vorbei geht und sich dem Grüppchen linker Aktivisten anschließt.

Kleine Initiativen (gegen Atomstrom, gegen Rassismus, für höheres Arbeitslosengeld) haben den Platz der SPÖ eingenommen und bekommen plötzlich eine große Bühne. Sie malen mit dicker Kreide Sterne auf den Boden direkt vor das Rathaus; sogenannte Standraster, wie sie im Ausland bei Demos verwendet werden, damit die Menschen Abstand halten. Aus einem Lautsprecher erklingt das bei derartigen Anlässen neuerdings obligatorische Partisanenlied „ Bella Ciao“. (Dass das Lied ausgerechnet erst durch eine millionenschwere Netflix-Serie Bekanntheit erlangte, scheint die Antikapitalisten nicht zu stören.)

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Wiener Rathausplatz am 1. Mai 2020

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Wiener Rathausplatz am 1. Mai 2020

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Wiener Rathausplatz am 1. Mai 2020

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Wiener Rathausplatz am 1. Mai 2020

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Wiener Rathausplatz am 1. Mai 2020

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

Als der SPÖ der 1. Mai abhandenkam

In den Ansprachen – immer wieder werden die Mikros säuberlich desinfiziert – werden dann der Neoliberalismus, die SPÖ und die Grünen attackiert. „Es gibt keine parlamentarische Opposition mehr“, hört man in den Reden. „Es gibt nur noch die Opposition auf der Straße.“ In der vierten Reihe pustet ein älterer Herr in ein rotes Pfeiferl. So richtig zuträglich ist der meterbreite Abstand der Stimmung nicht.

Am Vormittag schafft es nur ein einziger SPÖ-Spitzenpolitiker zum Rathausplatz: der EU-Abgeordnete Andreas Schieder, der vor zwei Jahren gegen Michael Ludwig als Wiener SPÖ-Chef kandidierte und unterlag. „Am 1. Mai kann man nicht zu Hause bleiben“, sagt Schieder. Ob der Bürgermeister auch komme? „Nein“, sagt er. „Der kann nicht. Der ist doch live im Fernsehen.“

Der SPÖ ist der 1. Mai abhandengekommen. Und sie hat es nicht einmal bemerkt.

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