Steinhart kritisiert ÖGK: "Fast schon klassenkämpferische Forderungen"

Im Ringen um eine bessere Gesundheitsversorgung wird der Ärztekammer immer wieder Blockade vorgeworfen. Präsident Johannes Steinhart dazu im KURIER-Gespräch.
KURIER: Herr Präsident, angesichts der mühsamen Verhandlungen rund um ein bundesweit einheitliches Tarifsystem für Kassenärzte empfiehlt der Rechnungshof die Entmachtung der Landesärztekammern. Sie sind auch Chef der Wiener Kammer: Werden Sie der Letzte sein, der bei solchen Verhandlungen etwas zu sagen hat?
Johannes Steinhart: Ich bin mir nicht sicher, ob man da genau verstanden hat, wie das läuft. Die Länderkammern wären ja nicht dadurch abgeschafft, indem man sie nicht direkt verhandeln lässt. Denn die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK, Anm.) ist ja nichts anderes als die Summe der Länderkammern. In den ÖÄK-Gremien sind die Länderkammern massiv vertreten. Außerdem: Was ist das für ein seltsames Demokratieverständnis, dass ich jemanden entmachte, mit dem ich mich in Verhandlungen nicht gleich einigen kann?
Durch die Kassenfusion gibt es statt neun Gebietskrankenkassen nur mehr eine ÖGK. Wäre es im Sinne des Sparens nicht logisch, wenn diese in den Verhandlungen auf Ärzteseite auch nur mehr ein Gegenüber hätte?
Eine Einladung zu irgendeiner Art der Zentralisierung ist die Kassenfusion nicht. Das Sparen ist dort völlig schiefgegangen angesichts der Mehrkosten, die dort jetzt anfallen. Aus vielen Bundesländern hört man Unzufriedenheit.
Aber was ist der Vorteil einer kleinteiligen Struktur mit neun Länder-Kammern?
Auch Österreich ist geografisch sehr kleinteilig. Man kann etwa die Metropole Wien nicht mit dem Flächen-Bundesland Niederösterreich oder dem gebirgigen Tirol vergleichen. Umso wichtiger waren immer Lösungsansätze, die sehr auf die spezifische Lage vor Ort Rücksicht genommen haben. Mit den jetzt so kritisierten Strukturen haben wir eines der weltweit besten Gesundheitssysteme aufgebaut.
Der Streit um die bundesweite Vereinheitlichung der Honorierung zieht sich schon seit Jahren. Laut ÖGK deshalb, weil der Entwurf der Kammer die höchstmöglichen Tarife enthalte.
So weit sind wir noch gar nicht. Wir haben als Vorleistung vor fünf Jahren mit rund 200 Ärztinnen und Ärzten aus allen Fachgruppen einen Leistungskatalog – das ist kein Honorarkatalog – erarbeitet und der ÖGK und den Ministerien präsentiert. Dazu gab es nie eine konstruktive Diskussion mit der ÖGK. Ich verstehe, dass die Politik einen einheitlichen Leistungskatalog will. Denn es ist schwer erklärbar, dass ich in einem Bundesland eine Leistung bezahlt bekomme und im nächsten nicht. Unser Vorschlag: Beenden wir die aktuellen Verhandlungen erfolgreich und schließen wir die Verträge ab. Dann setzen wir den einheitlichen Leistungskatalog um und vereinbaren einen Fahrplan über beispielsweise fünf Jahre, in denen die Honorare graduell angepasst werden, um die Kasse finanziell nicht zu überlasten.
Die ÖGK muss massiv sparen und fordert auch von den Ärzten einen Solidarbeitrag in Form von moderateren Honorar-Anpassungen. Das regt auch der Rechnungshof an, zumal die Ärzteeinkommen in den vergangenen Jahren doppelt so stark gestiegen sind wie der Verbraucherpreisindex. Warum wehren Sie sich so dagegen?
Bei diesen fast schon klassenkämpferischen Forderungen werden Einkommen und Honorar verwechselt. Ärztliche Honorare ergeben sich aus der Anzahl einer erbrachten Leistung multipliziert mit dem von der Kasse für diese Einzelleistung bezahlten Tarif. Die Tarife sind dabei deutlich unter der Inflation geblieben. Zuwächse bei ärztlichen Honoraren und in der Folge vielleicht auch beim Einkommen sind vor allem auf massive Mehrleistungen der Ärzteschaft zurückzuführen.
Also kein Solidarbeitrag?
Warum sollen wir ihn an eine Organisation wie die ÖGK zahlen, die mir einmal erzählt, man sei 55 Millionen Euro im Plus, dann ist man eine Milliarde im Minus und dann plötzlich wieder nur 500 Millionen – ohne dass man irgendwelche Strukturveränderungen gemacht hätte? Jetzt ist wieder von einer schwarzen Null für 2026 die Rede. Außerdem leisten wir mit den gedeckelten und degressiven Zahlungen für unsere Leistungen ohnehin schon einen Solidarbeitrag.
Sie sprechen immer wieder von strukturellen Problemen, die die ÖGK bei sich bereinigen müsste. Welche?
Ein Stichwort sind hier die Mehrkosten durch die zentralistische sogenannte Kassenreform. Aber auch das Fehlen eines einheitlichen ÖGK-Immobilienkonzeptes und anderer Synergieeffekte, die grundlegende Verbesserungen und sinnvolle Einsparungen bringen können.
Investieren will man in den Ausbau der Gesundheitshotline 1450, um die Patientenströme besser zu lenken. Eine sinnvolle Idee?
1450 hat derzeit nicht die Kraft, so stark zu lenken, wie man sich das vorstellt. Wir hatten 2024 rund 143 Millionen eCard-Steckungen. 1450 hatte im Vorjahr gerade einmal eine Million Kontakte, wovon aber nur 300.000 medizinische Gründe hatten. Natürlich kann man darauf aufbauen, aber es wird Jahre dauern, bis das greift. Vielleicht sollte man da lokale Lösungen bevorzugen, wie den Ärztefunkdienst in Wien, der seit 50 Jahren besteht und hervorragend funktioniert.
Beim von der ÖGK geplanten Aufbau von telemedizinischer Beratung warnt die Kammer vor unnötigen Doppelstrukturen. Warum hat sie sich trotzdem bei der Ausschreibung beworben?
Weil wir mit dem Ärztefunkdienst eine hervorragende Infrastruktur für Telemedizin haben.
Von der eCard bis zu ELGA: Warum hat sich die Kammer immer gegen technische Innovationen gewehrt, die heute kaum noch aus dem Alltag wegzudenken sind?
Von immer kann nicht die Rede sein. Wir hatten bereits zehn Jahre vor Einführung der eCard mit der MedCard eine vergleichbare Idee. Bei ELGA muss man sich fragen, ob das effizient aufgebaut ist. Ein Beispiel: ELGA verfügt noch immer nicht über eine kompakte Patient Summary mit allen relevanten Infos. Ich kann nicht in einer bummvollen Ordination Dutzende A4-Seiten lesen. Hier müssen wir im Interesse von Ärzten und Patienten auf Verbesserungen drängen.
Arzt
Geboren 1955 in Wien, schloss Johannes Steinhart 1992 die Facharzt-Ausbildung zum Urologen ab. Bis 2015 fungierte er als Geschäftsführer und ärztlicher Leiter der Krankenanstalt des Göttlichen Heiland in Wien-Hernals. Bis heute führt er eine Kassenordination in Wien-Simmering.
Kammer-Politiker
Steinhart, der der ÖVP-nahen Kammer-Fraktion „Vereinigung“ angehört, startete seine Kammer-Karriere 1989 in der Wiener Landeskammer. 1999 wurde er Vizepräsident, 2012 auch in der Österreichischen Ärztekammer. Seit 2022 ist er Präsident in beiden Kammern.
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