Warum die ÖGK wieder eine Pflicht-Überweisung für den Facharzt will

Warum die ÖGK wieder eine Pflicht-Überweisung für den Facharzt will
ÖGK-Vizeobmann Huss will die Patientenströme besser lenken und den Zugang zum Facharzt einschränken. Experten sehen viele offene Fragen, die Ärztekammer fühlt sich überrumpelt.

Die einen wollen die umstrittene Ambulanzgebühr wiedereinführen, um die Spitäler zu entlasten. Andere plädieren wiederum für einen Solidarbeitrag der Ärzteschaft, um die tief verschuldeten Krankenkassen zu sanieren. Wieder andere wollen die Wahlärzte stärker in die Pflicht nehmen, um die Engpässe in der kassenmedizinischen Versorgung zu beseitigen. Aktuell mangelt es wahrlich nicht an Ideen zur Behebung der vielen Baustellen im Gesundheitssystem.

Mit der nächsten wartet nun ÖGK-Vizeobmann Andreas Huss, ohnehin selten um markige Ansagen verlegen, auf: Er will laut Ö1 den Zugang zu Fachärzten und Fachambulatorien in den Spitälern wieder stärker steuern. Denn derzeit ist es so, dass die dortigen Kapazitäten oft von Patienten blockiert werden, die genauso gut beim Allgemeinmediziner aufgehoben wären. Eine der Folgen: unnötig lange Wartezeiten auf Termine für Patienten, die wirklich einen Facharzt brauchen.

Die Idee weckt Erinnerungen an die Zeit vor Einführung der eCard, als man überhaupt nur mit Überweisung durch den Hausarzt zum Kassen-Facharzt konnte. So weit will Huss allerdings nicht zurück. Vielmehr soll der Patient mit Anreizsystemen dazu motiviert werden, zunächst einmal den Allgemeinmediziner aufzusuchen. Etwa, indem die eCard-Gebühr erlassen oder die Rezeptgebühr reduziert wird.

40 Prozent gehen gleich zum Facharzt

Die Notwendigkeit, hier einzugreifen, verdeutlicht Huss anhand von ÖGK-eigenen Erhebungen bei knapp 50.000 Patienten. Davon hätten fast 60 Prozent zunächst eine Primärversorgung aufgesucht, also einen Haus-, Frauen- oder Kinderarzt. Nur ein Drittel davon musste von dort aus zu einem Facharzt bzw. in eine Fachambulanz überwiesen werden. Demgegenüber stehen die 40 Prozent, die direkt und ohne vorige Abklärung zum Facharzt gegangen sind.

Huss will noch heuer oder 2026 Pilotversuche in Salzburg, der Steiermark und Oberösterreich starten und verweist auf Vorbilder in den Niederlanden und Skandinavien. Wobei sich allerdings die Ärztekammer von solchen Plänen überrumpelt fühlt (siehe unten). Ohnehin ist noch vieles offen, etwa, wo genau sich die Pilotregionen befinden, wie man bei der ÖGK einräumt.

Teufel steckt im Detail

Doch lassen sich mit solchen Maßnahmen überhaupt die gewünschten Effekte erzielen? Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am IHS, ortet gegenüber dem KURIER gleich mehrere Probleme. „Wenn man solche Maßnahmen setzt, um zu erreichen, dass weniger Patienten direkt zum Facharzt gehen, muss sichergestellt sein, dass es entsprechend mehr Kapazitäten in der Primärversorgung gibt.“ Also etwa genügend Kassen-Hausarztordinationen oder Primärversorgungseinheiten. Davon gibt es aber bekanntlich schon jetzt nicht genügend.

Zweitens bezweifelt der Experte, dass das von Huss vorgeschlagene Anreiz-System unter den heimischen Rahmenbedingungen funktioniert. „In Frankreich etwa belohnt man Patienten, die statt zum Facharzt zunächst zur Primärversorgung gehen, mit einer Reduktion der Selbstbehalte. Dass klappt dort gut. Bei uns hingegen gibt es, gerade für ÖGK-Versicherte, nur geringe Selbstbehalte, womit dieser Hebel wegfällt.“ Eine Reduktion der eCard-Gebühr würde wohl kaum einen Lenkungseffekt haben, weil sie ohnehin bereits relativ gering sei, so Czypionka.

Grundsätzlich plädiert aber auch er für eine stärkere Steuerung der Patientenströme. „Viele irren sehr lange durch das System, bis sie dort ankommen, wo sie hingehören“, betont der Ökonom. Viel wäre schon erreicht, wenn alle relevanten Patienten-Informationen (Befunde, Verschreibungen etc.) an einer Stelle zusammenlaufen würden, wo sie von allen behandelnden Ärzten eingesehen werden können. Das würde unnötige Mehrfach-Untersuchungen verhindern.

Gesundheitshotline

Hoffnungen setzt Czypionka auch in den Ausbau der Gesundheitshotline 1450, die auch die neue Bundesregierung plant. Damit würde man noch eine Stufe unter dem Modell von ÖGK-Vize Huss ansetzen: Bevor der Patient zum Arzt geht, konsultiert er die Hotline. Die Fachleute am anderen Ende der Leitung geben eine Einschätzung ab, ob ein Arztbesuch überhaupt notwendig ist.

Ärztekammer-Vize: "Unausgegorene Vorschläge"

Wenn Huss seine Pilotprojekte zur Lenkung der Patientenströme umsetzen will, muss er einen wichtigen Akteur mit an Bord holen: Die Ärztekammer.

Bis dato sei dies aber nicht erfolgt, wie Vizepräsident Edgar Wutscher zum KURIER sagt. Vielmehr habe er von Huss’ Plänen Donnerstag auf der Fahrt in die Ordination im Radio erfahren. „Natürlich sollten wir über Lenkungsmaßnahmen reden. Dafür sollten wir uns aber zusammensetzen und uns nicht Dinge über die Medien ausrichten.“

Zumal es viel zu klären gebe. Denn es wäre keineswegs sinnvoll, die Patienten pauschal vor jeder Facharzt-Konsultation erst einmal zum Hausarzt zu schicken. „Man denke etwa an eine Kontrolle der Schilddrüse: Der Facharzt rät zu einer Folgekontrolle in einem Jahr. Warum sollte sich der Patient dafür eigens eine Überweisung vom Hausarzt holen müssen?“, sagt Wutscher.

„Unausgegoren“ ist für ihn auch die Idee Huss’, dass man künftig auch für einen Facharzt, der als Wahlarzt ordiniert, eine Überweisung braucht. Für den Ärztevertreter sei dies nichts weiter als Populismus – mit dem Potenzial das „gut gewachsene Gesundheitssystem zu beschädigen“.

Anders hingegen der für die Spitalsärzte zuständige Ärztekammer-Vizepräsident Harald Mayer:  Ein solches Anreizsystem habe er schon lange gefordert. Er spricht sich dafür aus, eine solche Patientenlenkung nicht nur für Fachambulatorien, sondern generell für Spitalsambulanzen einzuführen.

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