Adamovich: "Das war vielleicht nicht sehr klug"
Als ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs äußert sich Ludwig Adamovich stets nur sehr überlegt - auch zu der Causa Schnizer, mit der sich sein Nachfolger Gerhard Holzinger nun befassen muss. Aber auch Adamovich findet, dass die Judikatur, auf deren Basis der Wahlanfechtung stattgegeben wurde, zumindest diskutiert werden sollte.
Kurier.at: Herr Adamovich, Johannes Schnizer hat sich diese Woche überraschend gegenüber dem Falter und der ZiB2 geäußert und das Zustandekommen der FPÖ-Wahlanfechtung kritisiert, was für einen Verfassungsrichter sehr ungewohnt ist – wie beurteilen Sie das?
Ludwig Adamovich: Ich möchte mich da einer persönlichen Wertung bewusst enthalten.
Sehen Sie das als einen Tabubruch?
Es ist zugegebenermaßen etwas Neues, und man kann natürlich unterschiedlicher Meinung darüber sein, aber das muss er sich mit seinem Gerichtshof ausmachen.
Er ist auch noch weiter gegangen, und hat gesagt, wen er wählen wird und gewählt hat.
Das war vielleicht nicht sehr klug, erklärt sich aber wahrscheinlich daraus, dass diese Entscheidung von seinen Gesinnungsfreunden sehr heftig kritisiert worden ist, und er deutlich machen wollte, dass seine Haltung zu der Entscheidung nichts zu tun hat mit seiner sonstigen politischen Überzeugung.
Schnizer hat sich heute in einem anderen Verfahren für befangen erklärt, wird die Causa noch weitergehende Konsequenzen für den VfGH haben?
Das wird man sehen, es gab alle möglichen Drohungen der FPÖ. Dass er sich da für befangen erklärt, das verstehe ich, das würde ich in seiner Situation vermutlich auch machen.
Die von Ihnen gerade angesprochene Kritik am Urteil wurde im Laufe der Wochen und Monate immer heftiger – wie beurteilen Sie die?
Auf der Basis der bisherigen Judikaturlinie konnte man wohl gar nicht anders entscheiden. Über die Judikaturlinie als solche kann man diskutieren. Neuerdings sind Statistiker und Mathematiker mit durchaus neuartigen Argumenten auf den Plan getreten.
Das heißt, Sie würden eine Änderung der Judikaturlinie anhand der statistischen Erkenntnisse befürworten – die besagen, dass es statistisch gesehen nahezu unmöglich ist, dass die beanstandeten Schlampereien etwas am Ergebnis geändert hätten.
Ja, das passt irgendwie nicht zusammen. Der Kern der Sache ist der Begriff der Möglichkeit, ob etwas von Einfluss auf das Ergebnis sein konnte, wie der Gerichtshof ja judiziert. Die Statistiker sagen jetzt, es konnte nicht von Einfluss sein aufgrund der statistischen Wahrscheinlichkeit. Die Frage ist nur: Darf man so an die Dinge herangehen? Das ist eine wissenschaftliche Diskussion, die sollte man in einem Rahmen durchführen, der ein bisschen weiter entfernt ist vom politischen Bereich.
Eine Diskussion, die von Schnizers Aussagen wieder befeuert wurde, ist die der „dissenting opinion“, also dass Verfassungsrichter, die ja mit Mehrheit entscheiden, eine abweichende Meinung jener veröffentlichen, die dem Urteil nicht zustimmten.
Das ist ein Thema, das weiß Gott nicht neu ist. Das wurde bereits in den Neunzigern diskutiert, dann ist diese Diskussion eingeschlafen. Man kann darüber sachlich diskutieren, ob das sinnvoll ist oder nicht. Als ich noch Präsident war, war jedenfalls die weitaus überwiegende Anzahl der Richter dagegen.
Glauben Sie, dass diese „dissenting opinion“ solche privaten Äußerungen von Verfassungsrichtern unterbinden würden?
Die Schnizer-Äußerung hat mit einer „dissenting opinion“ überhaupt nichts zu tun. Das bewegt sich auf einer vollkommen anderen Ebene, denn er verteidigt die Entscheidung. Das, was er kritisiert, ist ja etwas ganz anderes; die Art und Weise nämlich, wie die Anfechtung zustande kommt.
VfGH-Präsident Holzinger hat sich seit dem Urteil nicht mehr dazu geäußert – ist das ein Fehler?
Nein. Ob man über bereits ergangene Entscheidungen von Amts wegen reden sollte, kann man natürlich diskutieren. Wenn er sagt, das ist die Entscheidung und die rechtfertige ich nicht, ist das ein Standpunkt, den man akzeptieren muss. Ich habe mich damals bei den Kärntner Ortstafeln sehr aus der Deckung begeben, aber deshalb, weil da eine persönliche Beleidigung eine Rolle gespielt hat, sonst hätte ich es nicht gemacht.
Der VfGH ist durch das Urteil wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, sehen Sie gerade in dem politischen Kontext, wo Stillstand und Streitereien vorherrschen, die Tendenz, dass der VfGH ein stärkerer politischer Player werden könnte, vergleichbar mit dem Supreme Court in den USA – also wichtige politische Entscheidungen trifft?
Diese Entscheidungen zu den Wahlanfechtungen sind so ziemlich das Gegenteil, was man dem Gerichtshof sonst vorwirft: Nämlich dass er sich in Richtung Supreme Court bewegt und in den politischen Bereich geht. Diese Wahlentscheidungen hatten eine formale Strenge, die gerade verhindern soll, dass der Anschein der politischen Entscheidung entsteht. Dass das nicht immer gelingt, hat man ja gesehen.
Die Wahlwiederholung in der Leopoldstadt wird vermutlich wieder angefochten, sehen Sie die Gefahr, dass Wahlanfechtungen eine gängige politische Praxis werden?
Hoffentlich nicht. Aber je knapper das Ergebnis, desto größer die Versuchung, das ist auf der Hand liegend. Man kann jetzt natürlich weder die Wahlkarten noch die höchstrichterliche Kontrolle abschaffen, das wäre noch schlechter.
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