ABC-Abwehrtruppe: Spezialisten in Sachen Coronavirus
Überrascht? Nein, überrascht hat ihn die Pandemie nicht, sagt Oberst Jürgen Schlechter (49), Kommandant des ABC-Abwehrzentrums in Korneuburg. „In der Risikoanalyse-Matrix des Verteidigungsministeriums gilt der Ausbruch einer Pandemie seit Jahren als sehr wahrscheinlich und sehr bedrohlich.“
Und genau daher gebe es entsprechende Krisenpläne und seine bestens ausgebildeten ABC-Abwehrsoldaten, die auch im Ausland großes Renommee besitzen. „Wir sind in Europa sicher bei den Besten“, sagt der Kommandant durchaus mit Stolz.
Training mit echtem Giftgas
Die Soldaten und Soldatinnen sind für das Aufspüren und die Beseitigung von atomaren, biologischen und chemischen Gefahrstoffen trainiert – und das mit echten chemischen Kampfstoffen. Vier- bis fünfmal im Jahr finden diese „Live Agent Trainings“ statt, vor allem in Tschechien. Seit 1998 haben dort mehr als 4.500 österreichische ABC-Abwehrsoldaten Ausbildungsdurchgänge absolviert.
Denn sie wissen, was sie tun
Wer unter realen Bedingungen durch Übungen mit Haut- und Nervenkampfstoffen wie Sarin gegangen ist, der weiß hundertprozentig, wie er mit seinem Gerät, seinem persönlichen (18 Kilogramm schweren) Schutzanzug und seiner Schutzmaske umgehen muss. „Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen, dass unsere Soldaten sich jetzt bei Einsätzen gegen das Coronavirus anstecken könnten. Sie verstehen ihr Handwerk und wissen genau, was sie tun“, betont Schlechter.
Der erste, von der Polizei in der Corona-Krise erbetene Assistenzeinsatz erfolgte vorige Woche in einer virusverseuchten Polizeiinspektion in Niederösterreich. Ein 10-Mann-Team aus Korneuburg rückte aus und desinfizierte mit entsprechendem Gerät und Desinfektionsmitteln die Räume und Fahrzeuge.
Die Spezialisten sind geschult, sie wissen, mit welchem Mittel, bei welcher Oberfläche und mit welchem Gerät am effizientesten das Virus beseitigt wird – und auch, wie man das Desinfektionsmittel samt dem zerstörten Virus entsprechend beseitigt und entsorgt.
Labors, Polizei, Spitäler
Im Kampf gegen das Coronavirus bietet die ABC-Abwehrtruppe Desinfektionsmaßnahmen für Innenräume wichtiger Infrastruktur-Einrichtungen an. Hauptmann Eva Rinner, Leiterin der Lehrabteilung, in der alle ABC-Kadersoldaten ausbildet werden, nennt als Beispiele Räume der Polizei, Labors, Krankenzimmer oder ganze Trakte in Spitälern, wenn es hart auf hart kommen sollte. „Überall, wo rasch die Einsatzbereitschaft von systemwichtigen Organisationen wiederhergestellt sein muss.“
Absperren und abwarten
Räume, die nicht unbedingt gebraucht würden, könne man einfach zusperren, sagt Schlechter und nennt als Beispiel einen Kindergarten: „Wenn man den zwei Wochen sperrt und dann normal putzt, kann gar nichts mehr passieren.“ Das gelte auch für die meisten Autos, sagt Rinner: „Privatautos kann man auch einfach zusperren und zwei Wochen warten. Dann ist das Coronavirus ohnehin unschädlich.“
Großgerät und Fahrzeuge wie Einsatzfahrzeuge, Busse, U-Bahnen oder Züge können von den ABC-lern bei Bedarf hingegen desinfiziert werden. Das gilt auch für Kleingerät wie elektronische Geräte. Rinner: „Für sensibles Gerät wie Funkgeräte, Handys, Notebooks, Computer gibt es verschiedene Methoden – etwa mit Vakuum oder Hitze, je nachdem, was sinnvoll ist.“
Spielplätze und Parkbänke
Auch Geländeteile können prinzipiell von der ABC-Abwehr desinfiziert werden. Desinfektion von Straßen und Gehsteigen ergibt laut Schlechter keinen Sinn. Am ehesten wäre die Desinfektion von Spielplätzen, Parkbänken und Handläufen zur Verhinderung von Schmierinfektionen sinnvoll. Wäre das für ganze Ortschaften etwa in Tirol denkbar? Prinzipiell ja, aber es braucht dafür entsprechend große Mengen an Desinfektionsmittel und viele Einsatzkräfte. Schlechter: „Effizienter und effektiver ist wohl die Behandlung von Innenräumen.“
Prinzipiell gibt es dabei die „Wisch-Dekontamination“ bei Oberflächen („schaut aus wie einfaches Abwischen mittels Reinigungsmitteln und Tüchern, ist aber schon gefinkelter“) und Begasen mit Peressigsäure (etwa bei Polstermöbeln), erklärt Rinner.
Rund um die Uhr einsatzbereit
Die ABC-Profis können rund um die Uhr eingesetzt werden. Es werden wohl vor allem Sicherheitseinrichtungen und Leitzentralen, die rasch wieder einsatzfähig sein müssen, zu denen sie gerufen werden, sein. Die fünf Standorte der ABC-Abwehr sind gut übers Land verteilt: Korneuburg bei Wien, Mautern in Niederösterreich, Graz, Hörsching bei Linz und Absam in Tirol.
Für Großeinsätze stehen die Kompanien in Korneuburg, Mautern und Hörsching mit jeweils 100 Mann zur Verfügung. Von welchem Standort, in welcher Mannstärke und zu welchem Einsatz ausgerückt wird, entscheidet das ABC-Abwehrzentrum; ob ausgerückt wird, entscheidet das Kommando Streitkräfte in Graz.
Oberst Schlechter sind für die Bekämpfung des Coronavirus alle ABC-Abwehrtruppen in Österreich unterstellt. Derzeit sind das 300 Mann, aber es könnten durch die Teilmobilmachung der Miliz bald noch mehr werden: „Im Zuge der vorgesehenen Teilmobilmachung denken wir daran, AFDRU-Milizsoldaten einzuberufen – unsere Katastrophenhilfseinheit, die sonst im Ausland hilft, könnte in Österreich eingesetzt werden.“
Die AFDRU (Austrian Forces Disaster Relief Unit) war bisher bei zwölf Einsätzen auf drei Kontinenten im Einsatz. Zu den Spezialgebieten zählt etwa die Suche und Bergung mit Suchhunden und Spezialgerät oder die Wasseraufbereitung – aber eben auch Desinfektion- und Dekontaminierungsmaßnahmen durch ABC-Spezialisten.
Hygiene und Distanz
"Es gibt Viren, die viel bedrohlicher und gefährlicher sind als das Coronavirus“, betont Schlechter. „Aber durch die lange Inkubationszeit kann es sich rasend gut und schnell ausbreiten, und gepaart mit der zeitlichen Überschneidung mit der Grippewelle wird es so gefährlich“ – und zum Stresstest für jedes Gesundheitssystem.
Wir wissen aber, die Hülle des Coronavirus wird durch normale Seife beim Händewaschen, Putzmittel oder Waschmittel leicht kaputt und damit unschädlich. Und wer zudem zu Mitmenschen einen Abstand „von eineinhalb bis zwei Metern“ hält, ist laut Schlechter auf der sicheren Seite.
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