Einschlägige Dialoge in Arthur Schnitzlers „Reigen“ sorgten in den 1920er Jahren für einen handfesten Skandal. Der konservative Innenminister Egon Glanz wies Wiens Bürgermeister Jakob Reumann (SPÖ) an, die Aufführung zu untersagen.
Die Anweisung war unzulässig, befand der VfGH. 1922 wurde das Stück unter Polizeischutz wieder gespielt. Die Kunstszene sah das einen Sieg gegen die Zensur.
1927: „Scheidung light“
In Niederösterreich wurden massenhaft „Dispense“ ausgestellt – eine Art „Scheidung light“, was zwischenzeitlich sogar Doppelehen möglich machte.
Der VfGH geriet im Machtkampf zwischen Landesbehörden (die den Dispens ausstellten) und Gerichten (die sie wieder aufhoben) zwischen die Fronten. Was dazu führte, dass der damalige Präsident Hans Kelsen, „Vater der Verfassung“, abdankte.
Das VfGH-Erkenntnis hielt in der Praxis nicht, Rechtssicherheit für Betroffene kam erst mit dem Ehegesetz 1938.
1974: Die Fristenlösung
ÖVP, FPÖ und Kirche gingen auf die Barrikaden, sie sahen in Schwangerschaftsabbrüchen eine Verletzung der Menschenrechte.
Der VfGH widersprach dem und kam zu dem Schluss, dass nicht genau definiert sei, ab welchem Zeitpunkt (ungeborenes) Leben beginnt – und damit unter Schutz steht.
Die Fristenlösung, beschlossen von der SPÖ-Alleinregierung, gilt daher als verfassungskonform.
1991: Vergnügen bleibt privat
Klarer definiert ist in der Menschenrechtskonvention das „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“.
Der VfGH erklärte ein Wiener Gesetz für unzulässig, wonach Videotheken für die Berechnung einer Vergnügungssteuer erfassen mussten, welche Kassetten sich ihr Kunde wann auslieh.
Die Worte im Erkenntnis scheinen aktueller denn je: „In einer von der Achtung der Freiheit geprägten Gesellschaft braucht der Bürger ohne triftigen Grund niemandem Einblick zu gewähren, welchem Zeitvertreib er nachgeht, welche Bücher er kauft, welche Zeitungen er abonniert, was er isst und trinkt und wo er die Nacht verbringt.“
2001: Die Kärntner Ortstafeln
Zehn Jahre lang beschäftigte die Frage, ob für die slowenische Minderheit in Kärntner Gemeinden zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden sollen, die Politik. Landeshauptmann Jörg Haider ignorierte VfGH-Entscheide und attackierte Präsident Ludwig Adamovich aufs Heftigste.
Letztlich wurden 164 Tafeln aufgestellt. Ähnliche Regelungen folgten im Burgenland.
2016: Die Hofburg-Stichwahl
Wahlbeisitzer hatten seit Jahren die Gesetze zur Briefwahl-Auszählung ignoriert. Die verlorene Hofburg-Stichwahl war für die FPÖ Anlass, den VfGH damit zu befassen.
Im größten öffentlichen VfGH-Verfahren der Geschichte wurde der Wahlgang dann komplett aufgehoben. In der Folge gab es einige Adaptionen im Wahlprozedere.
2017: Ehe für alle
Die Unterscheidung zwischen eingetragener Partnerschaft und konventioneller Ehe sah der VfGH als Diskriminierung.
Gleichgeschlechtliche Paare dürfen seither heiraten – zumindest am Standesamt. Kirchlich anerkannt ist noch immer nur das Bündnis zwischen Mann und Frau.
2019: Prestigeprojekte von Türkis-Blau platzten
Gleich mehrere umstrittene Gesetze landeten im Vorjahr vor dem Höchstgericht: Das Rauchverbot in der Gastronomie, das ÖVP und FPÖ gekippt hatten, trat im November doch noch in Kraft.
Der geplante Bundestrojaner zur Überwachung von Handys wurde für verfassungswidrig erklärt und Kernpunkte der neuen Sozialhilfe gekippt, da der VfGH eine Diskriminierung von kinderreichen Familien und Ausländern sah.
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