100 Jahre Republik: Erfolg erst im zweiten Anlauf

100 Jahre Republik: Erfolg erst im zweiten Anlauf
Die Zweite Republik ist durch Demokratie, soziale Partnerschaft und Ausgleich ein Erfolgsmodell geworden.

Karl Renner, 1870 in Mähren geboren, wurde am 30. Oktober 1918 Staatskanzler, noch bevor Deutschösterreich als Republik am 12. November ausgerufen wurde. Am 27. April 1945 stand er wieder an der Spitze einer Regierung, bis im Dezember Leopold Figl nach dem Wahlsieg der ÖVP das Kanzleramt übernahm.

Zwei Republiken, zwei völlig unterschiedliche politische Situationen. „Der Staat, den keiner wollte“, lautet das Klischee über das Überbleibsel des Habsburgerreiches. Der Historiker Stephan Vajda hingegen schreibt im Monumentalwerk „Felix Austria“ vom „Staat, den viele wollten“, obwohl bis zum Friedensvertrag von St. Germain nicht einmal die Grenzen klar waren und führende Politiker den Anschluss an das nun auch republikanische Deutschland wollten. Der Weg in den Abgrund war vorgezeichnet, als sich die radikalisierten Christlichsozialen und Sozialdemokraten auch noch bewaffneten.

Österreich auf der Suche

Dahinter stand der „Kampf um die österreichische Identität“, den der Historiker Friedrich Heer in seinem Werk beschreibt. Die Sozialdemokraten und Renner verstanden sich als Deutsche. Die christlich-sozialen Kanzler Dollfuß und Schuschnigg versuchten mit den Mitteln der Diktatur ein Österreich-Bewusstsein aufzubauen, gegen Hitler und die Nazis. Aber Schuschnigg verabschiedete sich am 11. März 1938 mit „einem deutschen Gruß: Gott schütze Österreich.“

Österreich gab es erst wieder nach der Befreiung im Jahr 1945. Und obwohl die Verhandlungen um einen Staatsvertrag zehn Jahre dauerten, war schon bald klar, dass die nunmehr Zweite Republik eine Erfolgsgeschichte werden könnte.

Der „Mythos von der Lagerstraße“ war mehr als die Erinnerung von ehemaligen KZ-Häftlingen. Figl (ÖVP) und Olah (SPÖ) saßen neben vielen anderen im ersten Transport ins KZ Dachau, kurz nach Hitlers Einmarsch am 12. März 1938. Die Feinde aus der Ersten Republik hatten erkannt, wie zerstörerisch ihr Hass gewesen war. Im Rückblick kann man den Eindruck gewinnen, dass sich ÖVP und SPÖ so fest aneinander banden, um nicht mehr gegeneinander agieren zu können.

Die Dritte Republik

Die Auswüchse der Packelei der großen Koalition bis 1966 waren Freunderlwirtschaft, Abhängigkeiten, Korruption und die Verhinderung eines selbstbewussten Parlaments. Der Publizist Alexander Vodopivec war es, der schon 1976 den Begriff von der Dritten Republik prägte. In dem gleichnamigen Buch schreibt er von der „Unterwanderung der Ministerien“ durch Kammern und Gewerkschaften. Ganz konkret kritisiert er Sozialministerin Rehor, die während der ÖVP-Alleinregierung ab 1966 „als Verwalterin angestammter sozialistischer Interessen“ gewirkt habe, ebenso wie den Landwirtschaftsminister der SPÖ-Alleinregierung Weihs, der ab 1970 „die Interessen der Agrarier vertrat“. Der konservative Vodopivec sah Österreich gar auf dem „Weg zum Gewerkschaftsstaat“.

Auch Jörg Haider kritisierte die starken Kammern, verwendete den Begriff der Dritten Republik aber als von ihm erwünschte Staatsform mit einem starken Präsidenten, einem schwachen Parlament und vielen Volksabstimmungen, mit denen er gerne Stimmung gemacht hätte.

Unsere Geschichte lehrt uns, dass die Politik der Stimmungen eher in den Abgrund führt. Österreich war und ist friedlich und erfolgreich, weil Interessen ausgeglichen werden. Die Sozialpartner haben ihre Rolle nicht verloren, sie müssen sie aber neu definieren.

Dasselbe gilt für die Bundesländer, die am Beginn der Ersten Republik standen und von der Verfassung eine starke Rolle zugewiesen bekamen, aber eine der Kooperation.

Der Nationalrat zeigt mit dem BVT-Untersuchungsausschuss gerade, was er kann. Aber die Ausdruckslosigkeit vieler Parlamentarier ist oft beklemmend, die Geringschätzung des Nationalrats durch die Regierung ebenso.

Wir brauchen keine Dritte Republik, die Zweite ist so stark, dass sie selbstbewusst in der EU auftreten kann. Dort geben wir uns nicht auf, wie wir es 1918 bei einem Beitritt zur deutschen Republik gemacht hätten, sondern sind Teil einer europäischen Souveränität, Garant für den weiteren Erfolg der Zweiten Republik.

100 Jahre Republik: Erfolg erst im zweiten Anlauf

Bücherliste:

  • Thomas Chorherr: 1938 – Anatomie eines Jahres
  • Friedrich Heer: Der Kampf um die österreichische Identität
  • Hella Pick: Und welche Rolle spielt Österreich?
  • Hugo Portisch: Österreich II
  • Hans Rauscher: Das Buch Österreich
  • Stephan Vajda: Felix Austria - Eine Geschichte Österreichs
  • Alexander Vodopivec: Die dritte Republik
  • Kurt Wilhelm: Jüdischer Glaube aus zwei Jahrtausenden
  • Leon Zelman: Ein Leben nach dem Überleben (Aufgezeichnet von Armin Thurnher)

Wochenkommentar: Helmut Brandstätter über 100 Jahre Republik, US-Wahlen und BVT

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