"Die Schule braucht selbst Nachhilfe"

"Die Schule braucht selbst Nachhilfe"
Bildungsvolksbegehren: BeiRudolf Taschner dreht sich vieles um die Schule. Aus dem Initiatorenkreis rund um Androsch ist er dennoch ausgestiegen.

Freitagmittag bei Familie Taschner in der Wiener Mariahilfer Straße. Laura kommt soeben aus der Schule, Alexander hat frei. Der Tisch ist gedeckt, Rudolf Taschner macht den Kaffee. Der prominente Mathematiker und Wissenschaftler des Jahres 2004 war einer der Unterstützer des Bildungsvolksbegehrens, hat sich aber zurückgezogen. Dennoch spürt man, dass der Einsatz für Bildung in der Familie eine große Rolle spielt. Mutter Bianca war stellvertretende Elternvereinsvorsitzende am Gymnasium Stubenbastei, Laura ist Klassensprecherin, Alexander war vier Jahre lang Klassensprecher-Stellvertreter. Bücher sind omnipräsent. In der Bibliothek liegt das alte Russischbuch des Vaters, der jetzt versucht, mit Alexander mitzulernen.

In der Ecke steht ein wunderschönes Kasperltheater. Wer darf den Kasperl spielen? "Natürlich ich!", ruft der Professor. Laura und Alexander lachen, ein bisschen nervös, es ist ihr erstes Interview.

KURIER: Sie alle waren über Allerheiligen in Paris. Wie ist das französische Schulsystem?
Bianca Taschner: Es hat eine Gesamtschule, aber das Leistungsprinzip wird stärker betont als bei uns. Wenn man nicht entspricht, ist Durchfallen eine gängige Möglichkeit. Und man wechselt oft die Klasse, etwa alle zwei Jahre wird neu durchgemischt.

Wie klingt das für euch?
Laura Taschner: Ich find's gut, dass man immer neue Lehrer bekommt. Es ist auch im Leben so, dass man immer wieder mit Menschen arbeiten muss, die man nicht mag. Da lernt man, damit umzugehen und immer neue Rollen zu haben, einmal ist man das Alphatier und einmal ein Außenseiter.

Bist du derzeit Alphatier?
Laura lacht : Ich bin zwar Klassensprecherin, aber kein Alphatierchen, ich arbeite lieber zusammen.

Alexander, wie geht's?
Alexander Taschner: In der Unterstufe war ich immer ein sehr guter Schüler, jetzt in der Fünften wird's schwieriger.

Gibt es ein Lieblingsfach, einen Tag, an dem du besonders gern in die Schule gehst?
Alexander: Donnerstag! Da hab ich eine Doppelstunde Zeichnen, das ist entspannend.

Herr Professor, hatten Sie ein Lieblingsfach?

Rudolf Taschner: In der Oberstufe Chemie. Der Lehrer war auch Dichter, hat glänzend Geige gespielt und war für die Schule viel zu g'scheit. Er hat Kafka zitiert, während er Experimente gemacht hat.

Ist das der Typ Lehrer, den sich alle wünschen?
Rudolf: Hätte ich lauter solche Lehrer gehabt, ich hätte nicht atmen können. Sie brauchen schon auch ein paar schlechte Lehrer, die Reibebäume, an denen Sie sich abarbeiten können, und denjenigen, von dem Sie sagen: "In seiner Stunde können wir Pfitschigogerl spielen!"

Was kann ein guter Lehrer?
Laura: Er muss die Klasse mitreißen können.

Und woran spürt man das?
Alexander: Wenn ein Lehrer die Klasse mitreißen kann, spür' ich so richtig dieses "Oh nein, jetzt ist die Stunde schon wieder aus!".

Erlebst du das?
Alexander: Ja. Selten (lacht) .

Was macht ein guter Lehrer mit schwächeren Schülern?
Laura: Bei uns gibt es in Mathe mehrere, die nicht mitkommen. Da machen wir uns vor den Schularbeiten in der Freizeit Termine aus, auch die Frau Professor opfert ihre Freizeit, dann gehen wir die Beispiele so lange durch, bis sie jeder verstanden hat.
Alexander: Also bei uns fragen manche, die nicht mitkommen. Aber einige gehen auch zur Nachhilfe.

Wer aller bräuchte in Österreich Nachhilfe?
Rudolf (lacht laut) : Die Schule! Eigentlich braucht die Schule selbst Nachhilfe. Man kann messen, ob eine Schule gut ist oder nicht, und zwar an der Zahl der Nachhilfestunden. Da haben wir relativ viele, das ist kein gutes Zeichen.

Aber es lässt sich nur vage messen. Wer weiß, wie viel "Nachhilfe" Eltern leisten?
Rudolf: Stellen Sie sich vor, im französischen System, gibt's zu Hause keinen Schreibtisch! An seine Frau gewandt: Das kannst du besser erzählen!
Bianca: Man sagt dort den Lehrern, sie könnten nicht davon ausgehen, dass die Kinder daheim einen Schreibtisch haben. Die Kinder bleiben aber auch bis vier Uhr in der Schule, essen dort und haben am Nachmittag Unterricht. In der Schule soll so viel getan werden, dass die Kinder daheim frei haben.

Müsste man dafür nicht unsere Schulen neu bauen? Manche schauen aus wie Kasernen.
Rudolf: Man müsste viel umbauen. Maria Theresia hat die Schulen gegründet mit der Idee, sie müssen funktionieren: "Und was funktioniert in meinem Reich? Das Heer!" Daher mussten die Schulen so aufgebaut sein wie das Heer, damals ein sehr vernünftiger Gedanke.

Und davon haben wir bis heute einiges mitgenommen?
Rudolf: Ja. Aber Maria Theresia würde es heute nicht mehr so machen. Wir haben da einiges verschlafen. Meine These lautet: Der Staat nimmt sich, was Bildung anlangt, viel zu wichtig. Darum unterschreibe ich auch das Volksbegehren nicht, denn dann sagt man wieder: "So, jetzt machen wir aber die RICHTIGE Schule!"

Wie sieht die richtige Schule aus Ihrer Sicht aus?

Rudolf: Der Staat gibt zentrale Standards vor: Das und das sollen junge Menschen mit 10, 14, 16 können - eine Art Pflichtprogramm, das jede Schule erfüllen muss. Aber dann gibt es die Kür. Und da setzt jede Schule andere Schwerpunkte: handwerkliche Ausbildung, Sprachen, Mathematik, Kommunikation. Und wissen Sie warum? Weil man nur mit Vielfalt die Zukunft bewältigen kann.

Muss man heute in eine Privatschule gehen, um ausreichend Bildung zu erlangen?
Laura, Bianca, Rudolf: Nein!
Bianca: Das glaub ich nicht. Laura war in einem privaten Montessori-Kindergarten, Alexander im Städtischen bei den Kinderfreunden. Im Zweifelsfall hatte er die bessere Kindergärtnerin. Ich finde überhaupt, dass der Kindergarten aufgewertet werden soll. Kinder wollen nicht nur spielen, das finde ich absurd. Kinder wollen auch lernen.

Dann müssten Sie das Bildungsvolksbegehren unterschreiben, da steht unter Punkt 2: "Wir fordern die Gleichstellung der Kindergärten mit den Schulen ..."

Bianca: Genau den Punkt finde ich gut. Aber ich muss mir das noch überlegen. Wenn ich etwas unterschreibe, möchte ich mit allem einverstanden sein. Und eine Schule, in der es keine Leistungsgruppen, aber auch kein Durchfallen gibt, da ist mir nicht klar, wie das funktionieren soll.

Herr Professor, Sie waren im Jänner beim Auftakt-Treffen für das Volksbegehren dabei. Jetzt sagen Sie, Sie unterschreiben nicht. Was ist inzwischen geschehen?
Rudolf: Ich glaube, dem lieben Doktor Androsch hat man viele Bildungsexpertinnen und -experten aufgedrängt, die alle versucht haben, ihre Vorstellungen hineinzupressen. Mein Empfinden ist, dass man dem Staat damit zu viel aufhalst, statt zu sagen: "Wir geben einen Teil der Verantwortung an die Schulen ab." Das wäre mir sympathischer gewesen. Aber es macht ja nichts, wenn ich nicht unterschreibe. Ich bin neugierig und wünsche ihnen alles Gute.

Sind Sie Bildungsexperte?
Rudolf: Ich kenne das System von der Wirklichkeit her, nicht von der Theorie. Und diese Theorie ist mir, ehrlich gesagt, völlig wurscht. Ich mag sie nicht, die Didaktiker, die erklären, wie man unterrichten muss, aber, wenn sie selbst in der Klasse stünden, weinend rauslaufen würden!

Laura, Alexander, habt ihr euch mit dem Volksbegehren beschäftigt?
Alexander: Zum Teil. Ich weiß zum Beispiel, man will es so machen, dass man nicht mehr durchfallen kann, was ich ziemlich - naja - finde.
Rudolf: Na gut oder schlecht?
Alexander: Schlecht, schlecht! Wenn ich in so eine Schule gehe, denk ich mir: "Ich kann eh nicht durchfliegen, da mach ich, was ich will."

Heißt das, Leistung beruht auf Leistungsdruck?
Alexander: Natürlich.

Sind euch Noten wichtig?
Alexander: Ja, sicher. Bei einem Einser bin ich glücklich, da weiß ich: Ich hab's geschafft. Bei einem Dreier denk' ich: Hätte ich mich mehr angestrengt, wäre ich zufriedener mit mir selbst.
Laura: Also bei mir ist positiv positiv und negativ negativ.

Was sagen die Eltern, wenn Ihr schlechte Noten habt?
Laura: Ich regle mir das seit der Sechsten selber. Aber wenn ich mal eine negative Note hab, sag ich: "Du Papa, ich hab's verbockt, würdest du unterschreiben?" Dann schmunzelt er ein bisschen und unterzeichnet.
Alexander: Der Papa sagt: "Hätte besser gehen können." Die Mama ist eher unzufriedener.

Das klingt, als wäre die Mama die Strengere. Waren Sie eine gute Schülerin?
Bianca: Ja, ich hab früh mitbekommen, dass ich mein Bestes geben muss. Ich verlange von den Kindern, dass sie für ihre jeweiligen Begabungen was Gutes rausholen. Wobei mir neben Mathematik und Sprachen auch die Bildung des Charakters wichtig ist. Ich kenne Leute, die ihre Kinder ab fünf Chinesisch lernen lassen. Ich hab den Alexander lieber motiviert, Eishockey zu spielen.

Beginnt Bildung im Elternhaus?

Alle nicken. Rudolf: Die ersten Jahre sind die wichtigsten.
Sie waren mit zehn Jahren Vollwaise und sind in Wien im Internat aufgewachsen (im Theresianum im 4. Bezirk) ...
Rudolf: ... ja, ich war Harry Potter, nur zaubern kann ich leider nicht. Alexander hat alle sieben Bände gelesen.

Alexander, kannst du diese Identifikation bestätigen? Ist dein Papa ein Held?
Alexander: Manchmal schon. Aber es gibt auch Sachen, die er nicht so gut kann.

Tatsächlich? - Dein Papa weiß in fast allen Bereichen sehr viel, und er macht auch noch hervorragenden Kaffee.

Alexander kichert : Den macht bei uns Nespresso ...
Laura: ... also George Clooney.

Was kann der Papa nicht?
Rudolf lacht und geht Richtung Küche: Ich hol mir einen Kaffee.
Laura: Im schulischen Bereich kann der Papa eh viel. Wenn ich einen Test hab, sag ich: "Papa, lernst du mit mir?" Aber wenn mir was auf der Seele liegt, geh ich zur Mama. ( Rudolf kommt zurück.)

Wir halten fest: Will man für einen Test lernen, geht man zum Papa, hat man Sorgen, geht man zur Mama.
Rudolf: Natürlich! Sorgen kann ich nicht behandeln.

Wieso ist das so?
Rudolf (schmunzelt) : Vielleicht, weil ich selber zu viele hab.

Zu wem sind Sie im Internat mit ihren Sorgen gegangen?
Rudolf: Zu mir selber. Wir hatten einen tollen Erzieher, das war ein unglaublich tiefer Mensch. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, zu ihm zu gehen und zu sagen, das oder das ist mein Problem.

Haben Sie später, in Ihrer eigenen Familie, gelernt, sich mitzuteilen, oder ist das ein Muster, das man mitnimmt?
Rudolf: Das nimmt man fürs Leben mit.
Bianca: Ich glaube, dass einen das prägt, wenn man nie erlebt, dass man in der Familie streitet und nachher wieder gut ist; wenn man nicht die emotionale Welt jener Menschen hat, von denen man weiß: Die gehören zu mir.

Die Schule kann Sozialkompetenz vermitteln, aber nicht das Elternhaus ersetzen?
Laura: Genau.
Rudolf: So soll es auch nicht sein. Das wär ja schrecklich.

Letzte Frage: Was wünscht ihr euch von euren Lehrern?
Laura: Dass sie jeden Schüler so akzeptieren und respektieren, wie er ist.
Alexander lacht : Nur Einser!

Wer weiß einen Lehrerwitz?

Alexander: Ich wüsste schon Witze, aber die sind sehr gemein, die will ich nicht sagen.

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