Cold Case-Profis untersuchen Causa Kampusch

Cold Case-Profis untersuchen Causa Kampusch
Einstimmiger Beschluss der Par­teien: Wegen vieler offener Fragen wird neu evaluiert. Das FBI steht bereit.

Fünf Parteienvertreter, eine Meinung. Ein seltenes Bild, wie auch die fünf Parteienvertreter befinden, die im Parlament die Öffentlichkeit informieren. Es handelt sich auch um einen speziellen Fall, den sich ein Unterausschuss über Monate hinweg zu Gemüte geführt hat. Nun steht fest: Der Entführungsfall Na­tascha Kampusch muss aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten, die der KURIER in den vergangenen Monaten aufgedeckt hat, neu evaluiert werden.

Die Parlamentarier haben sich folgende zentrale Fragen gestellt: Sind die Ermittler von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ihrer Auf­gabe mit der notwendigen Sorgfalt und Professionalität nachgekommen? Und ist den wesentlichen Fragen, die im Zuge der Ermittlungen aufgetaucht sind, ausreichend nachgegangen worden?

Antwort: Nein.

Einstimmiger Beschluss. Vorsitzender Werner Amon (ÖVP): „Wir empfehlen dem Innenministerium und dem Justizministerium dringend, den Fall neu zu evaluieren. Durch ausländische Experten, etwa vom FBI oder BKA."

„Vollständiges Versagen“

Laut KURIER-Recherchen steht bereits fest, dass die Amerikaner kommen werden. Sie brennen darauf, in Übersee zu recherchieren. Zudem werden Experten des Deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) beigezogen, um sich knapp sechs Jahre nach dem Auftauchen des Entführungsopfers mit dem rätselhaften Verbrechen zu beschäftigen.

Zwei Aspekte rücken in den Fokus. Mögliche Mittäter bzw. Mitwisser der Entführung vom März 1998 sowie die Rolle der Staatsanwaltschaft. Der Grüne Peter Pilz spricht von „vollständigem Ver­sagen", BZÖ-Mandatar Peter Westenthaler schließt sich der Meinung an und sagt: „Der Fall Kampusch kommt nicht zu den Akten, die Akte wird neu geöffnet."

Fünf hochrangige Staatsanwälte sollen wesentliche Ermittlungserkenntnisse von Sonderermittlern unberücksichtigt gelassen haben. Ein Ermittlungsverfahren durch die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck ergab Ende 2011 die Schuldlosigkeit der Beschuldigten. Seitdem untersuchte ein geheimer Unterausschuss im Parlament die Causa. FPÖ-Mandatarin Dagmar Berlakovich-Jenewein: „Ich bin mit 100 Fragen in den Unterausschuss gegangen, mit 150 wieder heraus."

Viele offene Fragen orten die Abgeordneten, brisant sind vor allem jene, die sich mit möglichen Komplizen des toten Entführers Priklopil auseinandersetzen. Eine Tatzeugin hatte stets, und zuletzt auch im Verfahren gegen die Staatsanwälte vor Gericht, von zwei Tätern berichtet. Im Zuge der Ermittlungen geriet denn auch ein Freund Priklopils in den Fokus. Er war von Polizisten und Mitgliedern einer Evaluierungskommission (geleitet vom ehemaligen Höchstrichter Ludwig Adamovich) als der Mittäterschaft dringend verdächtig eingestuft worden, blieb aber unbehelligt. Nun werden ausländische Experten die Causa unter die Lupe nehmen und ihre Vorschläge unterbreiten.

Das Comeback

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die FBI und BKA offerieren können. Entweder: Alles in Ordnung, nur ein Täter, der Fall ist endgültig zu schließen. Oder aber: Auf Grund von zu vielen offenen Fragen rund um Mittäter und Hintermänner bitte zurück an den Start. Dann müsste die Justiz den Fall, der offiziell im Jänner 2010 mit einem toten Einzeltäter abgeschlossen wurde, neu aufrollen.

Übrigens: Schon im April 2008 war das FBI in Wien, um mit der Evaluierungskommission diverse Ermittlungsmöglichkeiten zu erörtern, wie Kommissionsmitglied Johann Rzeszut dem KURIER verrät. Nun gibt es ein Comeback. Der ehe­malige Höchstrichter Rzeszut hat selbst den Grundstein dazu gelegt, durch ein umfassendes Schreiben an die Parlamentsparteien, in dem er alle Ungereimtheiten dokumentiert hat. Seine Bemühungen um eine neue, lückenlose Aufklärung des Falles, dürften sich gelohnt haben. „Ich stehe dem FBI und den deutschen Beamten selbstverständlich jederzeit zur Verfügung."

"Beweisergebnisse nicht ausreichend erörtert"

Mehr als 14 Jahre beschäftigt der Entführungsfall Natascha Kampusch bereits Öffentlichkeit und Behörden. Viele offene Fragen stehen noch immer im Raum: Steckten mehrere Täter dahinter, gab es Mitwisser, wurden Ermittlungsergebnisse seitens der Staatsanwaltschaft unterdrückt, wie Mitglieder einer Evaluierungskommission beklagen? Und wenn ja, welche Motive lagen dem zugrunde?

Die rund drei Dutzend Mitglieder des Unterausschusses im Parlament, die sich den Fall genau besahen und nun neue Untersuchungen einfordern, äußern einen ähnlichen Verdacht. Beweisergebnisse seien nicht ausreichend erörtert worden, heißt es im Abschluss-Kommuniqué der fünf Parteien.

Und weiter: "Vielmehr besteht der Eindruck, dass Ergebnisse im Zweifelsfall dahingegen interpretiert wurden, dass sie in die bestehenden Ermittlungsansätze passten. Aussagen von Zeugen, die dem widersprachen, wurden in der Regel als wenig glaubwürdig qualifiziert."

Ziel sei es jedenfalls, derartige Fälle in Hinkunft zu vermeiden. SPÖ-Sicherheitssprecher Otto Pendl fordert als eine Konsequenz aus den Erkenntnissen verbesserte Qualität im Ermittlungs­bereich, denn hätte man schon rechtzeitig den Fall ordentlich evaluiert bzw. sinnvolles Cold-Case-Management betrieben, "dann wäre der Fall nach kurzer Zeit geklärt gewesen und das Opfer befreit".

Eine weitere Konsequenz aus den monatelangen Untersuchungen im Unterausschuss lautet: Künftig werden sich die Staatsanwälte für etwaige Fehler vor dem Parlament verantworten müssen. Auch hier gibt es eine Einigung aller fünf Parteien. "Dabei geht es ausschließlich um bereits abgeschlossene Verfahren", betont der Grüne Peter Pilz. "Kontrolle ist enorm wichtig für den Rechtsstaat, das soll auch für die Staatsanwaltschaft gelten", ergänzt Peter Westenthaler. Mit dem Abschlussbericht zum Fall Kampusch liege jedenfalls ein gutes und greifbares Ergebnis mit klaren Konsequenzen vor. Nachsatz: "Es geht um Aufklärung und darum, im Interesse der Opfer ein derartiges Ermittlungsversagen zu verhindern".

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