Für die Wirtschaftler waren die Sperren der ersten Welle einschneidender als notwendig. „Dadurch ging Vertrauen verloren. Weshalb die Öffentlichkeit in der zweiten Welle den Anweisungen nicht mehr so diszipliniert folgt wie zu Beginn“, sagt der Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Chesi Levi.
Viele Israelis sehen sich existenziell stärker von der sprunghaft steigenden Arbeitslosigkeit bedroht als vom Virus. Dorit Nitzan, die israelische Direktorin für gesundheitliche Notlagen in der Europäischen Region der Weltgesundheitsbehörde mit Sitz in Kopenhagen, empfiehlt ihren Landsleuten „skandinavische Distanz“ wie sie in Dänemark gepflegt wird. Aber an den Stränden Israels und in den gerade wieder geöffneten Restaurants wird Distanz nicht in Metern, sondern Zentimetern gemessen.
Wer in Quarantäne gehen muss, hält über Whatsapp oder Zoom Kontakt mit „seiner“ Gruppe. „Ich darf meine Nachbarn nicht kontaktieren, aber wenn ich was brauche, tippe ich eine kurze SMS. Das liegt dann nach wenigen Minuten vor meiner Tür“, erzählt Mordechai Kasspi. Er lebt in einem ehemaligen Kibbuz. Heute ein Dorf ohne seinen alten Sozialismus, aber immer noch mit dem alten Gemeinschaftssinn.
Wobei „die einfachen Leute“ für ihren schwachen Gehorsam in Sachen Schutzauflagen immer mit dem Finger auf ihre Politiker zeigen können: Premiersfamilie Netanjahu feierte in der Vorwoche den Geburtstag ihres Ältesten in einem Tel Aviver Nobel-Hotel. Mit mehr als der zugelassenen Besucherzahl. Der Hotel-Direktor wurde am nächsten Tag aufs Polizeirevier zitiert.
Professor Roni Gamsu, als neuer „Projektor“ verantwortlich für die Zentralstelle zur Corona-Bekämpfung, kennt das Problem. Er pocht auf strengere Kontrollen der Schutzvorschriften. Vor allem aber pocht er auf dringend notwendige Klarheit für Schutzverordnungen.
Vor zwei Wochen verließen die Mitarbeiter eines Callcenters für Corona-Fragen unter Protest ihren Arbeitsplatz: Die neuen Anweisungen der Regierung seien unklar und sogar widersprüchlich. Auch sollen die Kommunen verstärkt in die Entscheidungen zur Corona-Krise einbezogen werden.
Gamsu mahnt zu mehr Disziplin und Vorsicht, hält sich aber mit apokalyptischen Szenarien zurück: „Unsere Krankenhäuser sind bei Weitem nicht überfordert und das trotz gestiegener Patientenzahlen auf den Intensivstationen.“
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