Putin und Xi feilen in Peking an einem alternativen Wirtschaftssystem

Er ist wieder da. Nur sieben Monate nach seinem letzten Besuch im Rahmen des Seidenstraße-Gipfels ist Russlands Präsident Wladimir Putin erneut nach Peking zurückgekehrt. Nachdem er sich im März in einer Scheinwahl wiederwählen ließ und in der Vorwoche seine fünfte Amtszeit angetreten hat, führt Putins erste Auslandsreise ihn in die chinesische Hauptstadt. Eine deutliche Parallele zu seinem Gegenüber Xi Jinping, der vor einem Jahr ebenfalls direkt nach dem Beginn seiner historischen dritten Amtszeit nach Moskau gereist war.
Es ist das 43. Mal, dass Putin und Xi einander treffen. Vor allem für den Chinesen ist das außergewöhnlich: Keinen anderen Staatschef traf er auch nur halb so oft. Putin wird bis Freitagabend in China bleiben, von chinesischer Seite wird der politische Austausch der beiden Präsidenten in den Vordergrund des Besuchs gerückt, während der Kreml die wirtschaftlichen Aspekte des Treffens hervorhob und schon vorab bekannt gab, Putin und Xi würden eine Reihe von neuen Wirtschaftsdeals unterzeichnen.
Aus chinesischer Sicht ist die enge Beziehung zu Russland förderlich für Xis Ziel, eine "multipolare Weltordnung" zu etablieren, in der nicht mehr die USA als militärische und wirtschaftliche Supermacht allgegenwärtig ist. Während sich China offiziell neutral gibt, unterstützt die Regierung Russland bei dessen Krieg in der Ukraine und untergräbt den Westen regelmäßig auf diplomatischem Weg.
"Gemeinsames Brainstorming", wie man Sanktionen in Zukunft umgehen kann
Für Russland ist die Beziehung allerdings von deutlich größerer Bedeutung. Durch den Krieg in der Ukraine und die westlichen Sanktionen musste sich die russische Wirtschaft umstellen und ist inzwischen massiv von China abhängig. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern betrug im Vorjahr 240 Milliarden US-Dollar, ist im Vergleich zu 2022 noch einmal um 26 Prozent gestiegen. Sogar die Kriegswirtschaft fußt zu weiten Teilen auf dem Handel mit der Volksrepublik.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 liefert China große Mengen sogenannter Dual-Use-Güter nach Russland, also auf den ersten Blick unscheinbare Produkte, die aber Bestandteile enthalten, die auch für die Waffenproduktion benötigt werden. Unter anderem Küchengeräte oder Fahrzeugbauteile. Doch zuletzt exportierte China deutlich weniger dieser Waren nach Russland: Im März sank die Zahl der Dual-Use-Güterexporte um 16, im April um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Schuld ist der Druck vonseiten der USA: Das Weiße Haus warnte die Führung in Peking seit Dezember mehrfach eindringlich davor, dass auch chinesische Banken sanktioniert würden, wenn dieser Handel weitergehen würde. US-Finanzministerin Janet Yellen betonte das zuletzt im April bei ihrem Besuch in der chinesischen Hauptstadt persönlich. Und die Daumenschrauben scheinen zu wirken
Umso wichtiger ist es für Putin, gemeinsam mit Xi neue Wege zu finden, die Sanktionen zu umgehen. Wie wichtig, das macht nicht zuletzt der aufsehenerregende Personalwechsel deutlich, den Putin bei seinem neuen Kabinett am Sonntag verkündet hat: Technokrat Andrej Belusow ersetzt den viele Jahre dienenden Sergei Schoigu als Verteidigungsminister. Belusow kommt aus der Wirtschaft, ist Ökonom - und in China hervorragend vernetzt. In Peking waren übrigens beide an der Seite von Putin zu sehen: sowohl Belusow als auch Vorgänger Schoigu.
Daneben ist die russische Delegation mit hochrangigen Wirtschaftsleuten besetzt, unter anderem Zentralbank-Gouverneurin Elvira Nabiullina, Finanzminister Anton Siluanow, Putins wirtschaftlichem Berater Maxim Oreschkin sowie Igor Setschin, Geschäftsführer des staatlichen Ölkonzerns Rosneft. Selbst der Oligarch Oleg Deripaska ist mitgereist, der lange in einen Aktien-Deal zwischen der österreichischen Raiffeisen-Bank und dem Baukonzern Strabag involviert war, bis dieser in der Vorwoche platzte.
Sie alle dürften bei den Gesprächen mit der chinesischen Führung dabei sein, wenn es darum geht, "gemeinsam neue Möglichkeiten zum Umgehen der US-Sanktionen in einer Art Brainstorming zu erarbeiten, bevor diese im Stillen umgesetzt werden", wie die russische Ökonomin Alexandra Prokopenko in einem Gastbeitrag in den Financial Times schreibt.

Xi Jinping (l.) und Wladimir Putin gehen vor der Großen Halle des Volkes in Peking an einer Reihe chinesischer Soldaten vorbei.
Das russische Wirtschaftssystem wurde innerhalb kürzester Zeit auf das chinesische ausgerichtet
In nur etwas mehr als zwei Jahren ist es Putins Regierung gelungen, das russische Wirtschaftssystem deutlich unabhängiger vom US-Dollar zu machen - und dafür umso abhängiger vom chinesischen Yuan. Ende 2023 wickelten russische Banken bereits mehr als ein Drittel aller Geschäfte in Yuan ab, vor dem Krieg gar keine. Zudem übersteigen die Yuan-Reserven der Nationalbank in Höhe von ca. 65 Milliarden Euro inzwischen die Dollar-Reserven.
Um sich vor Sanktionen zu schützen, etablierte das Finanzministerium schon vor Kriegsbeginn ein eigenes, russisches Banken-Kommunikationssystem als Alternative zum international dominanten SWIFT-System. Mit den Sanktionen kam 2022 auch der Ausschluss russischer Banken von SWIFT, das russische System konnte den Schaden nur teilweise abwenden. Stattdessen kommt heute bei Auslandzahlungen vor allem das chinesische System CIPS zum Einsatz. Eigentlich war das nur für Zahlungen zwischen chinesischen Banken zuständig, nahm aber seit 2022 auch 30 russische in sein Netzwerk auf.
Wie sich das in der Praxis auswirkt, zeigt eine Anekdote aus Bangladesch: Die dortige Regierung sei verblüfft gewesen, heißt es, als sie gebeten wurde, für den Bau eines Atomkraftwerks eine Zahlung an die russische Atomenergiebehörde über das chinesische System CIPS in Yuan durchzuführen.
Im Grunde bauen Russland und China hier an einem alternativen Banken- und Zahlungssystem, dem sich in Zukunft auch andere Staaten anschließen könnten, um vor westlichen Sanktionen besser geschützt zu sein. "Indem sie die russische Wirtschaft als Sandkiste nutzen, kann die chinesische Führung hier in Ruhe an einer eigenen finanziellen Infrastruktur feilen", schreibt Prokopenko.
Dieses System dürfte eine große Rolle spielen, wenn es darum geht, westliche Sanktionen zu umgehen. Außenstehenden wie US-Behörden wird es dadurch deutlich erschwert, den Zahlungsverkehr nachzuvollziehen. Vor allem, wenn Produkte darüber von China aus über mehrere Drittstaaten, die nicht sanktioniert sind, durchgeführt werden - etwa in Zentralasien oder dem arabischen Golf.
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