Wie Merkel Budgetsünder in der EU zu Disziplin zwingen will
Sie lässt keinen Zweifel, wer die Stimme Europas ist: Angela Merkel, die mächtige deutsche Bundeskanzlerin, meldet sich vor dem EU-Herbstgipfel lautstark zu Wort. Mehr Haushaltsdisziplin, mehr Reformen und mehr Wettbewerbsfähigkeit will Merkel den Ländern verpassen.
Um das zu erreichen, will sie eine Reparatur der Wirtschafts- und Währungsunion inklusive einer Vertragsänderung. Merkels Plan ist ausgeklügelt: In einzelstaatlichen Verträgen mit der EU-Kommission sollen entweder alle 28 EU-Staaten oder zumindest die 17 Euro-Länder sich verpflichten, Strukturreformen im Arbeitsmarkt, im Sozial- und Gesundheitssystem und bei Pensionsregelungen anzugehen. Als Ausgleich für soziale Härten soll es Hilfen aus einem neuen Fördertopf mit zweistelliger Milliardensumme geben.
Kommt Euro-Finanzminister?
Um die Wirtschafts- und Währungspolitik besser zu koordinieren, könnte ein hauptamtlicher Chef der Euro-Gruppe installiert werden, ein Euro-Finanzminister sozusagen. Bisher macht den einflussreichen Job ein Finanzminister aus der Euro-Gruppe. Auch ein starker EU-Kommissar für Wirtschaftspolitik schwebt der deutschen Kanzlerin vor.
Um das gesamte Vorhaben wasserfest zu machen, will Merkel das Protokoll Nr. 14 des gültigen Lissabon-Vertrages anpassen. Das könnte ohne große Vertragsänderung vor sich gehen.
Die Reformverträge sind für viele Länder eine heikle Angelegenheit, weil sie dadurch der direkten Kontrolle Brüssels unterliegen würden, ähnlich jener Länder, die unter den Rettungsschirm flüchten müssten und von der Troika regelmäßig inspiziert werden. Die Abkommen würden konkrete Fakten und Zeitpläne beinhalten, deren Einhaltung die Kommission mit Argusaugen vorfolgt.
Die Widerstände sind groß, vor allem von den großen Mitgliedsländern. Vor dem Sommer hat Frankreich eine europäische Wirtschaftsregierung gefordert, jetzt will Paris nichts mehr davon wissen. Und Großbritannien will von der EU ohnedies nichts mehr wissen.
Widerstand
Merkel hat bereits vor dem Sommer ihr Vorhaben skizziert, jetzt will sie mit den EU-Partnern über ihre Pläne intensiv diskutieren. Beim Dezember-Gipfel soll es konkrete Beschlüsse geben.
Ihre Emissäre hat die Kanzlerin schon ausgeschickt, um für ihre Ideen zu werben. Das Büro des Bundeskanzlers wollte auf KURIER-Anfrage am Montag keine Stellungnahme abgeben.
Triumphal in Deutschland wiedergewählt, will Angela Merkel jetzt auch ihre Führungsstärke in der EU zeigen. Ihre Vision von einem neuen Europa hat sie wenige Tage vor dem EU-Gipfel in Brüssel präzisiert: Die Euro-Gruppe oder gar alle 28 Mitglieder sollen eine Art europäische Wirtschaftsregierung bilden.
Substanzieller Teil dieses waghalsigen Projektes sind Verträge zu Reformen in der Beschäftigungs-, Wettbewerbs- und Sozialpolitik – auch im Gesundheits- und Pensionsbereich. Dabei kann die EU-Kommission den Ländern Vorschriften machen und deren Einhaltung auch kontrollieren, salopp gesagt: Die Kommission kann in die einzelnen Staaten hineinregieren.
Merkel weiß, dass ihre Pläne hochriskant sind, und dass sie mit großen Widerständen rechnen muss: Ihr Vorhaben bedeutet Abgabe nationaler Souveränität. Die Chefin der EU schielt dabei auch nicht auf die Europa-Wahl 2014, sie zieht ihren Kurs durch, so wie sie es während der Krise gemacht hat. Allein und überzeugend.
Die Wiener Regierung ist über die Ideen von Merkel ziemlich überrascht. Nach der Spiegel-Lektüre gibt es keine offizielle Stellungnahme. Kaum vorstellbar, dass Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger ihrer Kollegin widersprechen werden. Auf einen offenen Konflikt lassen sie sich nicht ein – und wirkliche Gegenargumente oder Baupläne für eine neue Architektur Europas haben sie nicht.
Nicht allein von der Größe eines Landes, sondern von der Qualität einer Idee hängt es ab, ob und wie Europa weiter gebaut wird. Will die Koalition neu nicht noch mehr Wähler zu den EU-Gegnern treiben, wird sie gute Antworten auf Europa finden müssen.
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