Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit, besagt ein bekanntes Zitat. Im derzeitigen Ukraine-Krieg scheint es mehr denn je zuzutreffen. Von Beginn an kursierten im Internet zahlreiche gefälschte Bilder und Videos. Wie jenes von angeblich tanzenden russischen Soldaten, kurz bevor sie in den Krieg ziehen. In Wirklichkeit ist darin eine Kapelle des usbekischen Militärs bei einem Konzert 2018 zu sehen.
Oder das Video von russischen Kampfjets, die vermeintlich über das ukrainische Stadtgebiet fliegen. Tatsächlich sind es Aufnahmen von einer Flugshow 2020 in der Nähe von Moskau.
Es geht aber noch skurriler: So wurden auf Facebook Bilder von angeblichen Gefechtshandlungen in der Ukraine geteilt, die in Wahrheit aus dem Videospiel Arma 3 stammen.
Dass in sozialen Medien Falschmeldungen verbreitet werden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, ist keine neue Entwicklung. Angesichts des Krieges ist die Arbeit von Faktencheckern aber besonders gefragt. Man denke an das Massaker von Butscha. Russische Behörden hatten jegliche Beteiligung dementiert und von Inszenierung gesprochen. Bis die New York Times Satellitenbilder mit Aufnahmen von vor Ort verglich und feststellte, dass sich die Leichen der Zivilisten bereits Wochen vor dem Abzug der russischen Truppen auf den Straßen befanden.
Einer, der sich hauptberuflich mit dem Aufdecken von Fake News beschäftigt, ist Andre Wolf. Er arbeitet für die Rechercheplattform Mimikama. Grundsätzlich könne man alles fälschen. Einen Großteil würden sogenannte Hybridfälschungen ausmachen. „Dabei ist das Bild oder Video echt, wird aber in einen anderen Kontext gestellt. Also zum Beispiel Fotos vom Konflikt um die Krim 2014, die im aktuellen Ukraine-Krieg verortet werden.“
Untiefen der Deepfakes
Diese seien allerdings einfach zur entlarven – mit Bildersuchmaschinen, die Auskunft über Ort und Zeit der Aufnahme geben. Schwieriger wird es, wenn Teile eines Bildes manipuliert wurden. Die Suchmaschine erkennt diese nicht mehr so leicht.
Und dann gibt es noch Deepfakes, die mithilfe künstlicher Intelligenz hergestellt werden. Gesichter von Personen können getauscht oder Menschen Dinge in den Mund gelegt werden, die sie nie gesagt haben – mit täuschend echter Mimik. „Zum Glück dominieren Deep Fakes die Falschmeldungslandschaft noch nicht. Vielleicht, weil sie aufwendiger zu produzieren sind“, erklärt Faktenchecker Wolf. „Zum Glück“ sagt er deshalb, weil sie schwer aufzudecken sind.
Aber wo kommen Fake News her? Prinzipiell können sie von jedem stammen, der Social Media nutzt. „Propaganda war lange Zeit zentral gesteuert. Seit Social Media ist das nicht mehr so. Jeder Mensch kann ein kleiner Propagandist sein“, sagt Historiker Benno Nietzel von der Universität Bielefeld. Das muss nicht immer in böswilliger Absicht geschehen, etwa indem Meldungen, die für wahr gehalten werden, unreflektiert verbreitet werden.
Anders bei sogenannten Trollen. „Das sind Menschen, die Spaß daran haben, jemanden in die Irre zu führen“, sagt Faktenchecker Wolf. Deren Rolle sei nicht zu unterschätzen.
Und dann gibt es die bewusste politische Manipulation. Hier ist Russland kein unbeschriebenes Blatt. Man denke an die Einflussnahme auf den US-Wahlkampf 2016 und Berichte über Trollfabriken, in denen mithilfe von fingierten Identitäten die öffentliche Meinung zugunsten Russlands beeinflusst wurde. „Man weiß aus der Vergangenheit, dass Russland stark auf die Verbreitung von Falschmeldungen setzt“, erklärt Historiker Nietzel. Nun sei Russland umso mehr darauf angewiesen, da ein Großteil der Öffentlichkeit auf der Seite der Ukraine stehe. Was nicht heißt, dass sich Letztere nicht auch propagandistischer Mittel bediene.
Faktenchecker raten, zuerst die eigene Erwartungshaltung zu prüfen. Konsumiere ich Meldungen nur, um meine eigene Meinung zu untermauern, oder lasse ich andere Sichtweisen zu?
Plausibilität
Wie plausibel wirkt die Meldung, das Bild oder Video? Je einseitiger und überspitzter, desto vorsichtiger sollte man sein.
Quelle
Woher stammt die Information? Steht kein seriöses Medium dahinter, hilft eine Google-Suche, um herauszufinden, ob auch andere darüber berichtet haben. Um die Echtheit von Bildern zu prüfen, kann man die Bilderrückwärtssuche verwenden – mit Suchmaschinen wie Google oder Tineye. Für Videos gibt es das Programm Invid.
Neuer Schauplatz
Denn Krieg funktioniere nur, wenn man die Bevölkerung auf seiner Seite wisse, sagt Nietzel. Zumindest seit dem 20. Jahrhundert. „Im 19. Jahrhundert haben sich die Armeen auf dem Feld getroffen und die Menschen konnten dann in der Zeitung lesen, wer gewonnen hat.“ Was natürlich nicht heißt, dass Propaganda ein neues Phänomen ist. Es gab sie bereits in der Antike – mittels Reden oder Liedern. Nun hat sich der Schauplatz der Desinformation eben ins Internet verlagert.
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