Wie Komiker europäische Parteienlandschaften umkrempelten

Gelernte Politiker haben es heute schwer. Also müssen neue Gesichter her. Am besten bekannte.

Wolodymyr Selenski hat eine realistische Chance, aus der Stichwahl bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen als Sieger hervorzugehen. Er hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber Amtsinhaber Petro Poroschenko: Selenski ist kein Politiker.

Denn gelernte Politiker haben es heute schwer. Nicht nur in der Ukraine, auch in anderen Ländern herrscht der Vorwurf, einige von ihnen hätten in die eigenen Taschen gearbeitet, viele am Volk vorbei regiert.

Also müssen neue Gesichter her. Am besten bekannte. Wolodymyr Selenski ist so eines. Man kennt den 41-Jährigen aus Sketches, er ist Schauspieler und Synchronsprecher. An verschiedenen Schalthebeln der Welt nahmen in den vergangenen Jahren Komiker und Kabarettisten Platz und krempelten die Parteienlandschaft um.

Marjan Šarec, Slowenien

Auch der junge Slowene Marjan Šarec legte sich, als er erstmals in die Politik ging, mit dem politischen Establishment in seiner Heimat an. Zunächst Bürgermeister der nordslowenischen Stadt Kamnik, dann bei der Präsidentenwahl (2017), wo er in der Stichwahl nur knapp scheiterte. Schließlich forderte der 40-Jährige, der als Schauspieler vor allem aber für seine Politikerparodien bekannt war, genau jene Typen heraus, die bisher als Vorlage für seine Witze dienten. Šarec schaffte vor allem durch die Schwäche seiner Gegner das Unmögliche und führt seit Sommer die Regierung in Slowenien an.

Beppe Grillo, Italien

Er war einer der Ersten, die in der jüngsten Zeit das politische Establishment herausforderten. Vor mehr als zehn Jahren war seine Fünf-Sterne-Bewegung entstanden, nach Grillos Aufruf an die Bürger, sich in die Belange der Politik einzumischen. Grillo warb für Volksabstimmungen, für den Austritt aus dem Euro („der Euro ist ein Strick um den Hals“) und andere Themen, die damals als politische Tabus galten. Der Mann war bekannt dafür, öffentlich lautstark und unkonventionell gegen die Politik zu schimpfen. 2007 organisierte er dafür den „Vaffanculo-Day“ (Geh in den A****-Tag) zu diesem Zweck.

2013 wurde die Gruppierung aus dem Stand zur zweitstärksten Kraft im Land. Aber regieren wollte man nicht, man wisse nicht mit wem, seien doch alle anderen Parteien korrupt. 2018 sah das schon anders aus. Der vorbestrafte Grillo zog sich nach und nach zurück und wich dem jungen, telegenen Luigi di Maio. Nach dem Erfolg bei den Wahlen koalierte man mit der rechten Lega. Kaum an der Macht, sinkt der Stern der Fünf Sterne auch wieder, das Regieren ist auch in Italien kein Witz.

Jon Gnarr, Island

Das 320.000-Einwohner-Land war 2008 am Boden. Die Finanzkrise hatte die Insel an den Rand eines Staatsbankrotts geführt. Die Isländer hatten die Figuren aus Politik und Wirtschaft satt, die für die Misere verantwortlich zeichneten. Doch dann kam Jon Gunnar Kristinsson. Der Künstler, besser bekannt als Gnarr, entschied sich zu einem Satireprojekt, nämlich mit der von ihm gegründeten „Besten Partei“ bei der Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt Reykjavik anzutreten. Es sollte eine Schmähung auf die aktuelle Politik werden. Gnarr versprach Gratis-Handtücher in Schwimmbädern und „transparente Korruption“. Er nannte es selbst „Paket ohne Inhalt“, die Gegner lachten über ihn – Gnarr gewann.

Martin Sonneborn, Deutschland

„Ja zu Europa, nein zu Europa“ – mit diesem Wahlslogan schaffte es der Satiriker Martin Sonneborn bei der EU-Wahl 2014, ins Europaparlament einzuziehen. Der Spitzenkandidat der PARTEI – „Partei für Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ – hatte bereits zum Berliner Bürgermeister und zum Bundeskanzler kandidiert, jedes Mal mit absurden Forderungen und Aktionen.

Berlin wollte er durch das Versprechen gewinnen, die Mauer wieder aufzubauen, vor der Bundestagswahl 2013 schaltete seine Partei einen verpixelten Porno im Hauptabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender. Titel: Beitrag zur Familienpolitik. Sonneborn, der es nur nach Brüssel geschafft hat, weil es in Deutschland keine Prozenthürde gibt, stimmt in Parlamentssitzungen – getreu seinem Slogan – abwechselnd dafür oder dagegen. Außer, das Thema ist ihm ein echtes Anliegen. Die diesjährige EU-Wahl wird Sonneborns letztes Tor nach Brüssel sein, denn seinetwegen wird es für den nächsten Urnengang eine Sperrklausel geben.

Sie alle haben gemein, dass sie bekannte Gesichter und frischen Wind ins politische Leben eingebracht haben – und dass ihr Witz Slogans hervorbringt, die sich die Wähler merken. Die Vorwürfe, insbesondere der etablierten Parteien, gehen vor allem in Richtung politische Beliebigkeit. Die wenigsten der Komödianten-Politiker stehen für etwas, die meisten treten in den Wahlkämpfen vor allem gegen etwas ein: die herrschende Politikerklasse – der sie mittlerweile selbst angehören. In die hat es der Österreicher Roland Düringer allerdings nie geschafft. Der Kabarettist meinte es mit seinem Ausflug in die Politik vielleicht zu ernst.

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