Als ein Österreicher mit Russland um Frieden in der Ukraine rang

Putin und sein Außenminister Lawrow
Spitzendiplomat Martin Sajdik führte die letzten Gespräche mit Russland über eine Lösung für die Ukraine. Im KURIER-Gespräch erklärt er, was Putin plante und woran es scheiterte.

Es war, da zögert Martin Sajdik keine Sekunde, "die schwierigste Aufgabe meiner Laufbahn". 2015: Putin hatte die Halbinsel Krim besetzt und befeuerte gezielt den Krieg im Osten der Ukraine. Als neuer Leiter der internationalen OSZE-Mission in der Ukraine sollte der österreichische Spitzendiplomat eine Lösung für den Konflikt ausverhandeln – in Minsk, Weißrussland, an einem Tisch mit Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland.

Sajdiks Vorgängerin hatte gerade frustriert das Handtuch geworfen. Die Gegensätze zwischen den Konfliktparteien schienen unüberbrückbar, die Lage an den Fronten völlig verfahren.

Der Österreicher musste es trotzdem versuchen. Er brachte eine Idee in die Verhandlungen ein – und Russland reagierte positiv: "Eine UN-Friedenstruppe in die Ostukraine zu entsenden. Russland hat meine kursorisch geäußerte Idee aufgegriffen. Allerdings haben das Deutschland und Frankreich nicht ernst genommen."

Als ein Österreicher mit Russland um Frieden in der Ukraine rang

Sajdik mit Lawrow

 

Es war nur einer der vielen Momente in diesen unglaublich zähen Verhandlungen, in denen man einer Lösung plötzlich nahe – und dann ebenso plötzlich wieder weit entfernt war. Sajdik ist trotzdem überzeugt: "Moskau hat bis Anfang dieses Jahres darauf gesetzt, im Minsker Prozess am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden – eine ihm genehme Lösung."

Putin wollte Mitspracherecht

Es ging um unzählige Details, hinter denen aber ein klares Ziel stand: "Putin wollte ein ständiges indirektes Mitspracherecht in der ukrainischen Politik über einen von den Separatisten geführten Osten."

"Autonomie" für diesen Osten, das war das Konzept der Russen, "Dezentralisierung", das der Regierung in Kiew. Und diese beiden ließen sich nicht und nicht auf einen Nenner bringen. Das aber, betont Sajdik, sei nicht nur die Schuld der Russen gewesen: "Kiew kam nur langsam bei der Dezentralisierung der Ukraine voran. Da ist bis zum Ausbruch des Krieges nichts passiert. Auch in anderen Bereichen hätten die so manches besser machen können. Da wurde vieles versprochen, aber nichts umgesetzt."

Als ein Österreicher mit Russland um Frieden in der Ukraine rang

"Die schwierigste Aufgabe meiner Laufbahn": Martin Sajdik über den Verhandlungsprozess im Minsker Abkommen.

Was die Gespräche aber endgültig in die Sackgasse führen sollte, war ein Faktor, den keiner der Verhandler beeinflussen sollte: Die Pandemie. Auf einmal, so erinnert sich Sajdik, waren persönliche Gespräche nicht mehr möglich: "Die Verhandler haben sich nur noch über Zoom gegenseitig beschuldigt und beschimpft. Es fehlte der persönliche Kontakt."

Was von all den Verhandlungen geblieben ist, heute, nach acht Monaten Krieg? Sajdik: "Es gibt verschiedene kluge Ideen für eine Verhandlungslösung, die bei gutem Willen herangezogen werden könnten. Es bliebe trotzdem eine unglaubliche Herausforderung."

Mediator notwendig

Sollte es eines Tages wieder Gespräche geben, dann, meint der erfahrene Diplomat, "braucht es einen Mediator. Das muss nicht einmal ein Staat sein, oder eine internationale Institution."

Der russische Oligarch Roman Abramowitsch etwa – lange Zeit ein enger Vertrauter Putins – "hat sich im Hintergrund sehr bemüht." Doch die derzeitige Haltung Putins, gesteht auch Sajdik ein, mache ihm nicht viel Hoffnung: "Wenn Moskau jetzt schon sagt, dass die Annexionen in der Ostukraine unverrückbar sind, wo reden wir dann weiter."

Viel früher hätte man auch im Westen die bedrohlichen Signale aus Moskau erkennen müssen: "Russland hat schon 2008 deutlich gemacht, dass es seine Rolle als Energiegroßmacht weltpolitisch in die Waagschale werfen könnte. Wir haben die Zeichen an der Wand nicht gesehen."

"Imperiales Denken"

Doch sich in das russische Denken hineinzuversetzen, gibt auch Sajdik zu, werde zunehmend schwerer. Das "imperiale Denken", das nicht nur in Putin, sondern in jedem Russen auf irgendeine Weise stecke, könne man irgendwann nicht mehr nachvollziehen: "Ich habe seit 50 Jahren versucht, die Russen zu verstehen, doch irgendwann ist der Punkt erreicht, wo ich das nicht mehr kann. Warum versucht das größte Land der Erde noch größer zu werden – durch einen Krieg."

Wie weit Putin diesen Krieg wohl treiben könne? Sajdik: "Wir haben lernen müssen, dass das Undenkbare Realität geworden ist. Sollten wir es in Österreich nicht jetzt ernst nehmen, dass eine konkrete atomare Bedrohung im Raum steht?"

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