Es war nur einer der vielen Momente in diesen unglaublich zähen Verhandlungen, in denen man einer Lösung plötzlich nahe – und dann ebenso plötzlich wieder weit entfernt war. Sajdik ist trotzdem überzeugt: "Moskau hat bis Anfang dieses Jahres darauf gesetzt, im Minsker Prozess am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden – eine ihm genehme Lösung."
Putin wollte Mitspracherecht
Es ging um unzählige Details, hinter denen aber ein klares Ziel stand: "Putin wollte ein ständiges indirektes Mitspracherecht in der ukrainischen Politik über einen von den Separatisten geführten Osten."
"Autonomie" für diesen Osten, das war das Konzept der Russen, "Dezentralisierung", das der Regierung in Kiew. Und diese beiden ließen sich nicht und nicht auf einen Nenner bringen. Das aber, betont Sajdik, sei nicht nur die Schuld der Russen gewesen: "Kiew kam nur langsam bei der Dezentralisierung der Ukraine voran. Da ist bis zum Ausbruch des Krieges nichts passiert. Auch in anderen Bereichen hätten die so manches besser machen können. Da wurde vieles versprochen, aber nichts umgesetzt."
Was die Gespräche aber endgültig in die Sackgasse führen sollte, war ein Faktor, den keiner der Verhandler beeinflussen sollte: Die Pandemie. Auf einmal, so erinnert sich Sajdik, waren persönliche Gespräche nicht mehr möglich: "Die Verhandler haben sich nur noch über Zoom gegenseitig beschuldigt und beschimpft. Es fehlte der persönliche Kontakt."
Was von all den Verhandlungen geblieben ist, heute, nach acht Monaten Krieg? Sajdik: "Es gibt verschiedene kluge Ideen für eine Verhandlungslösung, die bei gutem Willen herangezogen werden könnten. Es bliebe trotzdem eine unglaubliche Herausforderung."
Mediator notwendig
Sollte es eines Tages wieder Gespräche geben, dann, meint der erfahrene Diplomat, "braucht es einen Mediator. Das muss nicht einmal ein Staat sein, oder eine internationale Institution."
Der russische Oligarch Roman Abramowitsch etwa – lange Zeit ein enger Vertrauter Putins – "hat sich im Hintergrund sehr bemüht." Doch die derzeitige Haltung Putins, gesteht auch Sajdik ein, mache ihm nicht viel Hoffnung: "Wenn Moskau jetzt schon sagt, dass die Annexionen in der Ostukraine unverrückbar sind, wo reden wir dann weiter."
Viel früher hätte man auch im Westen die bedrohlichen Signale aus Moskau erkennen müssen: "Russland hat schon 2008 deutlich gemacht, dass es seine Rolle als Energiegroßmacht weltpolitisch in die Waagschale werfen könnte. Wir haben die Zeichen an der Wand nicht gesehen."
"Imperiales Denken"
Doch sich in das russische Denken hineinzuversetzen, gibt auch Sajdik zu, werde zunehmend schwerer. Das "imperiale Denken", das nicht nur in Putin, sondern in jedem Russen auf irgendeine Weise stecke, könne man irgendwann nicht mehr nachvollziehen: "Ich habe seit 50 Jahren versucht, die Russen zu verstehen, doch irgendwann ist der Punkt erreicht, wo ich das nicht mehr kann. Warum versucht das größte Land der Erde noch größer zu werden – durch einen Krieg."
Wie weit Putin diesen Krieg wohl treiben könne? Sajdik: "Wir haben lernen müssen, dass das Undenkbare Realität geworden ist. Sollten wir es in Österreich nicht jetzt ernst nehmen, dass eine konkrete atomare Bedrohung im Raum steht?"
Kommentare