Dass der 95-Jährige, der per Video zugeschaltet ist, sich offensichtlich nicht ganz auskennt, ist das eine. Das andere ist, dass der Veteran nach seiner Befragung tatsächlich von der Rettung abgeholt wird – genauso, wie der Oppositionelle prognostiziert hat . Das wird dann auch – wie in einem Drehbuch – prompt über die staatliche Nachrichtenagentur gemeldet. „Für von Nawalny beleidigten Veteranen musste Krankenwagen gerufen werden.“
„Eine zynische Farce“, kommentiert Matthew Luxmoore, der den Prozess für den Radio Free Europe beobachtet hat; ein Urteil ist erst Mitte Februar zu erwarten. „Russlands wenige Weltkriegsveteranen werden im TV gepriesen, aber leben in Armut. Sie wurden schon oft für politische Zwecke eingespannt.“ Es ist ein weiterer Versuch, Putins derzeit bedrohlichsten Oppositionellen in die Knie zu zwingen; und es wird nicht der letzte sein. In einigen Wochen steht das nächste Verfahren an, da wird Nawalny die Veruntreuung von Fördergeldern vorgeworfen. Wird er verurteilt, könnte das seine Haftstrafe empfindlich verlängern.
All das soll dafür sorgen, dass die Proteste rund um Nawalnys Inhaftierung abflauen. Dabei hat Nawalnys Team selbst angekündigt, in den nächsten Tagen und Wochen keine Aktionen mehr setzen zu wollen – man wolle sich die Kräfte für größere, organisierte Proteste im Frühling und im Vorfeld der Parlamentswahlen im Herbst aufsparen, so Leonid Wolkow, der die Pro-Nawalny-Aktionen mitorganisiert.
Hintergrund dieser Taktik ist wohl die Angst davor, dass wöchentliche Proteste wie in Minsk immer mehr ausdünnen würden. Das würde die Bewegung massiv schwächen.
Dazu kommt, dass nach wie vor Tausende – teils an den Protesten Unbeteiligte – in Haft sitzen, oft unter unmenschlichen Bedingungen. Weil die Zellen in Moskau überfüllt waren, wurden etwa viele Menschen in Bussen untergebracht, ohne Heizung, Wasser oder Essen.
Ob die Ankündigung von Nawalnys Team, auf Proteste zu verzichten, die Menschen aber tatsächlich davon abhalten wird, auf die Straße zu gehen, ist die andere Frage. Neue Gründe für ihren Furor gibt es nämlich täglich: Am Donnerstag wurde bekannt, dass einer der Ärzte, die Nawalny nach seiner Vergiftung in Omsk behandelten, plötzlich verstorben ist – mit erst 55 Jahren.
Das gibt massiv Raum für Spekulationen: „Er wusste mehr als irgendjemand sonst über Alexejs Zustand“, sagte der Nawalny-Vertraute Wolkow. Auch Jens Siegert, ehemaliger Leiter der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau, findet diesen Zufall irritierend: Es habe drei behandelnde Ärzte gegeben – einer davon sei Gesundheitsminister von Omsk geworden, der zweite habe gekündigt, und der dritte – „der, der nicht gelogen hat“ – sei nun tot.
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