Wie Brüssels Notfallplan für den wild gewordenen Strommarkt aussehen könnte
Erste Vorschläge, über die die EU-Energieminister am Freitag beraten, sickern durch. Sicher ist: Übergewinne werden abgeschöpft, aber einen generellen Preisdeckel für Strom wird es nicht geben
"Die europäischenPolitiker sorgen dafür, dass ihre Bürger Schlaganfälle kriegen, wenn sie ihre Stromrechnungen sehen“, meinte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Wochenende hämisch mit Blick auf die horrend gestiegenen Energiepreise. „Und jetzt, wo es kälter wird, wird die Situation noch schlimmer werden.“ Tatsächlich steigen die Gaspreise nach dem anhaltenden Lieferstopp durch Nordstream 1 erneut - und nach europaweiten, sofortigen Antworten auf die explodierenden Gas- und Strompreise wird gerufen.
"Notfallmaßnahmen"
Am Freitag werden die EU-Energieminister bei einem eilig einberufenen Sondertreffen in Brüssel beraten, welche Schritte gesetzt werden könnten. Unter dem Titel „Notfallmaßnahmen auf dem Strommarkt“ hat die EU-Kommission bereits in der Vorwoche ein 23-seitiges Dokument durchsickern lassen, wo ein Mix aus möglichen Maßnahmen präsentiert wurde. Im Grunde läufte es auf zwei zentrale Wege hinaus:
Der eine zielt darauf ab, massiv Strom zu sparen, europaweit und quer durch alle Bereiche. Der andere aber wäre ein Eingriff in den Strommarkt, indem eine Preisobergrenze für Strom gesetzt wird, der nicht mit Gas erzeugt wurde. Das wäre eine Art Deckel auf die Einnahmen für bestimmte Stromproduzenten wie etwa Atomkraftwerke, Wasser-, Solar-, und Wind- sowie Kohlekraftwerke. Ihnen sollen nicht mehr so exorbitant hohe Gewinne wie zuletzt bleiben.
Denn nach den Regeln des europäischen Strommarktes gilt: Die Höhe des Strompreises hängt von den Betriebskosten des teuersten Kraftwerks ab, das aktuell Strom liefert. Und das sind im Augenblick Gaskraftwerke, deren Ausgaben wegen der russischen Gaspreispolitik nach dem Ukraine-Krieg in die Höhe geschnellt sind. Alle anderen Anbieter, die eben durch Wind oder Atomkraft billiger Strom produzieren, verdienen dadurchplötzlich Milliarden.
Gewinne abschöpfen
Nach diesem Vorschlag der Brüsseler Behörde sollen diese massiven Gewinne abgeschöpft und in den Mitgliedstaaten umverteilt werden. Damit könnten die Regierungen etwa einkommensschwache Haushalte direkt unterstützen. Die EU-Länder wären verpflichtet, die aus der Maßnahme resultierenden Einnahmen „mit den Verbrauchern zu teilen, um deren Stromrechnungen zu senken“, heißt es in dem Papier der Kommission.
Bisher hatte sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen stets gegen Eingriffe in den Markt ausgesprochen. Forderungen, ein System mit Preisdeckeln wie es Spanien und Frankreich schon eingeführt haben, wurden zurückgewiesen. Doch angesichts von absurd hohen Preisen von über 1.000 Euro pro Megawattstunde (26. August) hat ein Umdenken eingesetzt.
„Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir sehen, dass der Elektrizitätspreis so nervös reagiert, wo die vielen Komponenten so eine hohe spekulative Nervosität auslösen, dass wir eingreifen müssen“, sagte die Kommissionspräsidentin in der Vorwoche.„Wir brauchen ein neues Marktmodell für Elektrizität, das wirklich funktioniert und unser Gleichgewicht wieder herstellt“, betonte sie
Allerdings soll es sich bei dieser Gewinnabschöpfung nur um eine vorübergehende Abgabe handeln, nicht um eine Steuer.
Kein EU-weiter Preisdeckel auf Strom
An einen generellen Preisdeckel für Strom denkt die EU-Kommission nicht. Ihr Argument: Wird der Preis künstlich gesenkt, ist das nicht nur extrem teuer, sondern könnte auch dazu führen, dass Konsumenten ihren Stromkonsum sogar noch ausweiten anstatt den Stromverbrauch zu reduzieren und das Problem so verschärfen. Unterschiedlich hohe Preisdeckel in der EU könnten zudem den EU-Strommarkt destabilisieren, weil der subventionierte billigere Strom aus einem Land in Nachbarländer abfließen könnte.
Schon jetzt exportiert Spanien wegen des Preisdeckels teuren, staatlich subventionierten Strom nach Frankreich. Denn dort herrscht Strommangel: Von den 56 Atomkraftwerken können wegen des akuten Wassernotstandes in den Flüssen derzeit nur 24 arbeiten.
Nach jüngsten Prognosen könnte es bis Frühling 2023 dauern, bis alle französischen Kernkraftwerke wieder in vollem Betrieb laufen - und auch dadurch den Strompreis wieder senken werden.
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