Weihnachten in Jerusalem: "Es wird nie mehr so sein wie vorher"
Die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas überschatten das Weihnachtsfest in der Stadt. Doch mancherorts wird gefeiert – etwa im österreichischen Hospiz in der Jerusalemer Altstadt.
23.12.23, 19:18
In Jerusalems Altstadt bleibt Weihnachten in dieser vierten Adventwoche unsichtbar. Keine roten Zipfelmützen, keine Tannenbäume, keine Girlanden, kein blechernes Jingle-Bells-Gedudel – die meisten Souvenirshops lassen die Rollläden geschlossen.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza hält Touristen fern. Eine bleierne Zeit, in der die Einheimischen unter sich bleiben.
Die kaufen, wo der Basar mit Fleischer- und Gewürzgasse zum alltäglichen Supermarkt wird. Die Stadt steht also nicht ganz "öd und leer", wie es im Psalm geschrieben steht. Oder auch in den Medien. Doch Vergleiche mit Intifada- oder Corona-Zeiten bringen ohnehin nichts. Wichtiger ist die Frage: Was bringt die Zukunft?
Suliman und Hussein kann man zu allem befragen. Wie an jedem Tag sitzen sie wie Statler und Waldorf in der Muppet-Show auf den Stufen vor ihren heute geschlossenen Läden: "Was soll schon sein? Wieder mal Krieg. Ich habe schon viele Kriege mitgemacht. Da weiß ich nur, dass es immer irgendwie weitergeht", erklärt Suliman mit leichtem Lächeln.
Hassan nimmt die Sache ernster: "Es ist wie in jedem Krieg: Den blutigen Preis zahlt die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten. Nicht die Hamas und nicht Netanjahu. Die Zukunft sieht finster aus."
Geografisch liegt die Altstadt auf der israelischen Seite. Suliman und Hussein stehen aber auf der palästinensischen Seite. In der Altstadt sitzen sie "dazwischen". Zur Terrororganisation Hamas fällt ihnen kein gutes und kein schlechtes Wort ein. Allenfalls noch, dass sie es den Israelis mal gezeigt hätten. "Aber zu welchem Preis?"
Nur 80 Meter weiter, im überdeckten Basar, hat ein Spirituosenladen geöffnet. Offensichtlich also ein christlicher Händler. Doch auch hier ist keine weihnachtliche Dekoration zu sehen. Bei mangelndem Flaschenverkauf werden Whiskey, Brandy und Arak heute auch in Gläsern angeboten.
An junge Männer, die um einen niedrigen Tisch hocken und Karten spielen. Es geht laut zu. Zu Politik wollen sie sich nicht äußern. Beim Wort Hamas winken sie ab und wenden sich wichtigeren Dingen zu. Dem Kartendeck auf ihrem kleinen Tisch.
Melange am Felsendom
Wer vor der Tristesse in den Gassen flüchten will, dem steht das hölzerne Tor zum österreichischen Hospiz an der Via Dolorosa einladend offen. Hier sieht man ihn endlich: einen geschmückten Tannenbaum. Unweihnachtlicher Sonnenschein hat schon am Morgen vereinzelte Besucher auf die Café-Terrasse gelockt.
Doch es sind keine Touristen. Eine junge Schwedin, die Theologie studiert und bei einer Wiener Melange ungestört ein Buch lesen will. Ganz versteckt unter dem Treppenaufgang sitzt eine blonde Frau auf einem Klappstuhl und streckt ihr Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen. Angesprochen reagiert sie nervös. Sie stellt sich als russische Touristin vor, spricht aber Hebräisch besser als Englisch. Auch illegale Gastarbeiter leben "dazwischen": Zwischen der Suche nach Arbeit und dem Versteckspiel mit der Polizei.
"Jetzt herrscht Angst"
Das Hospiz steht nicht mehr gespenstisch leer wie in Corona-Zeiten. Von weihnachtlichem Trubel kann aber auch keine Rede sein. Nach den ersten Raketenangriffen der Hamas am 7. Oktober kehrten einige der freiwilligen Mitarbeiter zurück nach Österreich. Imanuel Fritz und Jeremias Knirsch sind geblieben.
"Der erste Raketenalarm war schon irgendwie unheimlich. Aber die israelischen Arbeitskollegen blieben ruhig und das färbt ab", sagt Imanuel. Panik sei keine ausgebrochen. "Das Hospiz liegt ja nah am muslimischen Felsendom. Den wird die Hamas schon nicht beschießen."
Lucas Maier arbeitet schon einige Jahre im Hospiz. Zuerst war auch er Freiwilliger. Nach seiner Berufsausbildung – in Israel und Wien - kam er als Hotelmanager zurück. Raketenalarm kennt er schon aus früheren Jahren in Israel. Doch die Massaker der Hamas mit 1.200 Todesopfern und mehr als 200 verschleppten Zivilisten kamen auch für ihn völlig unerwartet. "Jetzt herrscht auf beiden Seiten Angst. Palästinensische und jüdische Freunde warnen mich vor den Gefahren auf der jeweils anderen Seite. Da hat sich schon etwas verändert."
Auch die wirtschaftliche Lage. 2023 war im Begriff, ein Rekordjahr für das Hospiz zu werden. Gerade hatte man auf 140 Betten aufgestockt, von denen jetzt gerade mal zehn belegt sind. "Aber wir hoffen doch, dass es bald wieder losgeht. Allerspätestens zu Ostern."
Ende der Kämpfe in Sicht
Auch Rektor Markus Bugnyar verliert nicht die Hoffnung. Es muss ja weitergehen. Er hat erst als Student, später dann als Priester in zwei Jahrzehnten Jerusalem einige Kriege erlebt. Der "Jerusalemer aus Wien" glaubt nicht an "die große Wende oder aufrüttelnde Umkehr" nach diesem Krieg. Aber auch nicht an den regionalen Krieg, der den gesamten Nahen Osten in Brand setzt, wie ihn sich die Hamas wohl erhofft hat. Wie ihn auch militante israelische Siedler in diesen Tagen mit brutalen Übergriffen gegen Palästinenser im besetzten Westjordanland anheizen wollen.
Auch die anderen Kräfte in der Region – vom Iran über den Jemen und die Golfstaaten bis Saudi-Arabien – sind nur schwer berechenbar. Sie wollen die Hamas im Gazastreifen für ihre Interessen ausnutzen, sich aber nicht von der Hamas ausnutzen lassen. "Immerhin deuten die Signale aus den USA jetzt doch auf ein Ende der Kampfhandlungen im Jänner hin", glaubt Bugnyar. Was aber nicht alle Skepsis des Rektors ausräumt.
Der 7. Oktober mit 1.200 ermordeten Zivilisten hat Israel traumatisiert. Wie auch fast zwei Millionen Menschen auf der Flucht im Gazastreifen. "Es wird nie mehr so wie vorher. Das Misstrauen ist auf beiden Seiten gewachsen. Das lässt sich nicht so leicht überwinden." Neu ist für Bugnyar der weltweit sprunghafte Anstieg des Antisemitismus infolge des Krieges. Auch in Österreich. "Was einem da oft ausgerechnet in linken, akademischen Kreisen an kruden Verschwörungstheorien entgegenschlägt, lässt einen die Hände über den Kopf zusammenschlagen."
Auch Bugnyar lebt "dazwischen". Zwischen Österreich und Israel. Zwischen der Sorge um die israelischen Geiseln in den Händen der Hamas und der Sorge um die kleine katholische Gemeinde im Gazastreifen. Sie wurde 1879 vom Tiroler Geistlichen Georg Gatt gegründet und ist dem Hospiz bis heute verbunden. Die Christen in Nahost stehen zwischen den Menschen – und somit zwischen den Fronten.
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