Bugnyár über "sein" Hospiz in Jerusalem: "Oase der Ruhe inmitten des Trubels"
KURIER: Erlebt man die Kar- und Ostertage im Heiligen Land anders, intensiver als sonstwo?
Markus Stephan Bugnyár: Es beginnt schon damit, dass für uns Februar und März, also die Monate der Fastenzeit, Hochsaison sind. Die Pilger, die zu uns ins Hospiz kommen, wollen diese Zeit intensiv nützen. Das erfordert von mir und den Mitarbeitern im Hospiz eine besondere Form der Präsenz.
Können Sie ein bisschen beschreiben, was es ausmacht, gleichsam an den Originalschauplätzen der biblischen Berichte zu sein?
Wir sind gerade dabei, die Generalsanierung unseres Altbaus vorzubereiten. Da diskutieren wir auch darüber, was uns von einem normalen Hotel unterscheidet. Oder anders gefragt: Was ist der Unterschied zwischen einem Pilger und einem Touristen? Nun kommt nach Jerusalem ohnedies niemand, um einen Wellnessurlaub zu verbringen – wer hier her kommt, hat eine Art von religiösem oder kulturellem Interesse. Gerade in der Karwoche spielt das sicher noch einmal eine stärkere Rolle.
Da will man an der Via Dolorosa, in der Grabeskirche sein. Wobei es angesichts der Besuchermassen schwierig ist, den Ort auf sich wirken zu lassen, ihn sich aneignen zu können. Da sehe ich unsere Aufgabe: Denn eine Pilgerreise braucht eine gewisse Muße, eine langsame Herangehensweise. Viele Besucher empfinden unser Haus als Oase der Ruhe inmitten des Trubels der Altstadt. Das ist eine Herausforderung für uns, aber auch für den einzelnen Pilger. Für viele ist das ja etwas Einmaliges, auf das sie beispielsweise lange hingespart haben.
Sind die Pilger nach der Pandemie wieder zurückgekehrt?
Es gab und gibt immer wieder Phasen, in denen die Pilger wegbleiben, etwa wegen einer Welle von Anschlägen. Aber es gab vor der Pandemie noch nie eine Zeit, wo einfach die Grenzen geschlossen waren. Wir waren in dieser Zeit von Spenden abhängig – der Betrieb des Hauses wurde weder von israelischer noch von österreichischer Seite subventioniert. Das hat sehr gut funktioniert, in einem Ausmaß, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Zur Zeit sind wir zum Glück nicht mehr auf Spenden angewiesen, das ist ein sehr schönes Gefühl. Wir können also Zuwendungen für unsere Sozialprojekte einsetzen.
Wie sehen Sie die derzeitige politische Situation unter der, wie sie meist genannt wird, „rechtsreligiösen“ Regierung? Der Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel, hat kürzlich auch die Lage für die Christen als ziemlich dramatisch bezeichnet. Sie haben das ein bisschen relativiert …
Die christliche Minderheit im Heiligen Land hat sicher ihre eigenen Herausforderungen. Ich bin aber in meiner Wortwahl diesbezüglich immer sehr vorsichtig. Man muss hier aufpassen, dass man nicht Vorurteile schürt, die nach wie vor gegeben sind. Was wir sicher nicht haben, sind Verfolgungen, wie sie Christen in anderen Regionen der Welt erleiden müssen. Und wenn man von den Problemen der Christen im Heiligen Land spricht, dann muss man dazusagen, dass es andere Bevölkerungsgruppen gibt, die deutlich größere Probleme haben. In den fast zwanzig Jahren, in denen ich in Jerusalem lebe, habe ich immer wieder Vandalismusakte gegen christliche Einrichtungen, Aggressionen gegen Geistliche erlebt. Das hat es gegeben und wird es wohl auch weiterhin geben. Es mag auch sein, dass sich manche durch die gegenwärtige Regierung zusätzlich zu solchen Aktionen ermutigt fühlen. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Leute zahlenmäßig mehr werden, aber vielleicht trauen sie sich zur Zeit eher aus der Deckung. Alles in allem sehe ich aber über die Jahre ein Auf und Ab. Es wäre also übertrieben, einzelne Zwischenfälle herauszugreifen und zu dramatisieren.
Unter den Christen sind allerdings auch viele Palästinenser …
Das stimmt – wobei es natürlich auch Ausländer unter den Christen gibt, oder etwa eine recht große Gruppe an Gastarbeitern aus asiatischen Ländern. Im Unterschied zu früher gibt es also nicht nur palästinensische Christen, die Nicht-Palästinenser sind mittlerweile sogar deutlich in der Mehrzahl. Was die gegenwärtige Regierung betrifft, so gibt es sicher manche Äußerungen, die auch mir Sorgen bereiten. Aber letztlich habe ich Vertrauen in die Demokratiefähigkeit der israelischen Zivilgesellschaft, die sich lautstark zu Wort meldet. Ich würde zudem auch keine Wetten darauf abschließen, wie lange es diese Koalition noch gibt.
Wie nehmen Sie denn „von außen“ die derzeit wieder heftig geführten innerkirchlichen Reformdebatten wahr – mit dem Blick aus einer Region, in der Christen vermutlich ganz andere Sorgen haben?
Wenn ich etwas gelernt habe, dann, wie es sich anfühlt, einer Minderheit anzugehören. Das hilft tatsächlich, manches mit einer gewissen Distanz zu sehen. Natürlich wissen die Christen im Heiligen Land, was in Europa kirchlich diskutiert wird – viele Dinge können sie nicht nachvollziehen, weil sie absolut nichts mit ihrer Lebensrealität zu tun haben. Auch ich als Europäer werde immer wieder von hiesigen Bischöfen gefragt: „Habt ihr keine anderen Sorgen?“
"Ich frage mich schon, wie man das alles wieder auf ein gemeinsames Gleis wird bringen können."
Macht Ihnen Sorge, was derzeit in Deutschland rund um den Synodalen Weg gelaufen ist?
Ich frage mich schon, wie man das alles wieder auf ein gemeinsames Gleis wird bringen können.
Erwarten Sie sich diesbezüglich etwas vom weltweiten Synodalen Prozess?
Schon die Tatsache, dass man diesen Prozess um ein Jahr, bis 2024, verlängert hat, zeigt, dass man sich der Komplexität der Situation bewusst ist und dass es nicht möglich sein wird, in absehbarer Zeit Lösungen zu konkreten Fragen zu finden. Vor allen Einzelthemen lautet meines Erachtens die entscheidende Frage: Wieviel römischer Zentralismus ist in einem digitalen Dorf möglich? Die Fragestellungen sind schon zwischen Europa und Nordamerika unterschiedlich, noch einmal anders sieht es jeweils in Afrika, Lateinamerika, im Nahen Osten aus. Wäre es da nicht überlegenswert, ob man gewisse Teile der katholischen Kirche in eine Autonomie entlässt und bestimmte Lösungen nur in jenen Teilen Gültigkeit besitzen? Die Vorstellung jedenfalls, dass die Weltkirche an deutschen Vorstellungen Maß nehmen müsste, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Aber kann es in Deutschland beispielsweise andere Zulassungskriterien zum Priesteramt geben als in Nigeria oder auf den Philippinen?
Die Crux wird immer bleiben: Wie kann eine Partikularkirche für sich in Anspruch nehmen, Antworten für die Weltkirche zu liefern? Das ist im Prinzip eine kolonialistische Attitüde.
Zur Disposition steht dabei doch das Prinzip der Einheit und Universalität …
… und das ist unser USP – das, was das Profil der katholischen Kirche ausmacht, das ist mir völlig bewusst. Ich würde es nicht hinterfragen. Mir stellt sich die Frage, was man zu erreichen versucht, wenn man solche Kernthemen zur Diskussion stellt. Geht es da wirklich um das Anliegen als solches – oder schielen da manche nach der Quote? Haben wir verstanden, dass volkskirchliche Konzeptionen der Vergangenheit angehören, schaffen wir es, uns neu zu positionieren auf die Zukunft hin – oder versuchen wir etwas zu retten, was nicht zu retten ist? Geht es bei der Zulassung von Frauen zur Weihe um Gleichberechtigung – oder wollen wir gesellschaftlichen Prozessen hinterherhecheln, um uns in Milieus beliebt zu machen, die mit Kirche gar nichts am Hut haben? Oder, wie es auch der Papst schon sinngemäß formuliert hat: Braucht es einen Reformprozess der katholischen Kirche, der uns den evangelischen Kirchen annähert? Oder haben wir noch den Anspruch an uns selbst, dass wir sagen: Es gibt Bereiche, in denen wir uns von den anderen Kirchen unterscheiden?
Was bedeutet für Sie Ostern?
Was mich manchmal frappiert, ist, dass wir es nicht schaffen, die Osterbotschaft unters Volk zu bringen. Ich bin mir zu wertvoll, um mich selbst im Grab verrotten zu sehen: Dieser Gedanke müsste doch gerade in einer Zeit, in der das Individuum, der einzelne so viel zählt, vermittelbar sein.
Markus Stephan Bugnyár
geb. 1975 in Wien, ist Priester der Diözese Eisenstadt und seit dem 1. Mai 2004 Rektor des Österreichischen Hospizes zur Heiligen Familie in Jerusalem (siehe Artikel unten). Er hat zusätzlich zum Theologiestudium in Wien auch Bibelwissenschaften in Jerusalem studiert und ist Honorarprofessor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz. 2022 erhob ihn der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, zum Ehrenkanoniker der Grabeskirche in Jerusalem.
Im Gefolge der Orientkrise (1839 ff.; die europäischen Großmächte wollten eine Schwächung des Osmanischen Reichs verhindern, um Instabilität in der Region zu vermeiden) eröffnete Österreich 1849 ein erstes Vize-Konsulat in Jerusalem.
1852 schlug Vizekonsul Josef Graf Pizzamano vor, ein Pilgerspital zu bauen, um den Einfluss Österreichs als Schutzmacht der Christen im Nahen Osten zu festigen. Der Wiener Erzbischof Joseph Othmar von Rauscher (1797–1875) griff die Idee auf. 1854 wurde der Baugrund in der Altstadt, 1856 erfolgte die Grundsteinlegung, am 19. März 1863 wurde das Haus eröffnet.
1869 nutzte Kaiser Franz Joseph seine Reise zur Eröffnung des Sueskanals zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. Er war der erste europäische Monarch seit dem Ende des Kreuzfahrer-Reiches, der das Heilige Land aufsuchte.
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