Daraus von einem Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung zu sprechen wäre verfrüht - regelmäßig kommt es zu schwerem Artilleriefeuer, erst kürzlich wurde ein Blutspendezentrum in Kupjansk von russischer Artillerie getroffen. Vor allem die Ortschaft Synkivka, sieben Kilometer von Kupjansk entfernt, ist derzeit heftig umkämpft – noch ist unklar, wer dort die Oberhand behält. Dennoch erlangen die russischen Streitkräfte seit Wochen in diesem Frontabschnitt die Initiative.
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Ukraine unter Druck
Ob es die große Gegenoffensive mit 100.000 Soldaten, 900 Panzern und 555 Artilleriesystemen ist, von der ein ukrainischer General vor etwa drei Wochen sprach, ist unklar. Wahrscheinlicher ist, dass sich diese Zahl auf den gesamten Frontverlauf im Osten beschränkt – eine dermaßen große Ansammlung von Soldaten und Gerät konnte bislang nicht bestätigt werden. Dennoch stehen die ukrainischen Streitkräfte im Raum Kupjansk unter Druck: Auch Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums bestätigen die schwierige Lage in der Region und bezeichnen die Richtung Kupjansk als eine der schwierigsten. Derzeit sollen Reserveverbände in Richtung Front unterwegs sein, um die Verteidiger zu unterstützen. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass der Oskol-Fluss, der auch die Stadt Kupjansk trennt, bald zur neuen Frontlinie wird.
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Neben einer verbesserten Abstimmung zwischen Artillerie und Aufklärung sollen auch die neugebildeten "Storm-Z"-Truppen zum bisherigen Erfolg des russischen Angriffs beigetragen haben. Dabei handelt es sich um Einheiten, die aus russischen Strafgefangenen bestehen – ganz nach dem Vorbild der Wagner-Truppen. Wenige Tage vor dem Aufstand der Wagner-Truppen Ende Juni verabschiedete die russische Duma ein Gesetz, das ebenjene Rekrutierung russischer Gefangener legalisiert.
Der Zweck der "Storm-Z"-Truppen ist derselbe wie er es bei Wagner war: Ungeachtet von Beschuss oder Minen so nah wie möglich an die ukrainischen Verteidigungsstellungen herankommen, sodass die regulären Einheiten Schwachstellen erkennen und ausnützen können. Wer eine gewisse Zeitlang überlebt, geht frei.
Die Verteidigung der Kupjansk-Front dürfte die ukrainischen Streitkräfte Einheiten und Verbände kosten, die für andere Angriffe vorgesehen waren. Gleichzeitig intensivieren ukrainische Einheiten ihre Angriffe im Süden im Raum Cherson. Mittels Landungsbooten überqueren sie immer wieder den Fluss Dnepr, führen Angriffe auf russisch besetztes Gebiet durch. Eine größere Operation dürfte allerdings zu viele Ressourcen binden, die für die Hauptangriffe auf die russischen Verteidigungslinien in Saporischja benötigt werden. Die Störangriffe dürften die Russen dennoch dazu veranlassen, die Front am Denpr zu verstärken.
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