Nordkoreas Raketentest: Das Streichholz am Pulverfass

Nordkoreas Raketentest: Das Streichholz am Pulverfass
Welche Ziele verfolgt Nordkorea mit seinen Raketentests und sind die Angaben aus Pjöngjang überhaupt ernst zu nehmen? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zur Eskalation in der Nordkorea-Krise gesammelt.

Nordkorea dreht weiter an der Eskalationsschraube. Erstmals habe man nun erfolgreich eine Interkontinentalrakete testen können, verlautete das Regime in Pjöngjang am Dienstag. Machthaber Kim Jong-un habe den Start persönlich verfolgt.

Auch wenn die Angaben aus Nordkorea mit Vorsicht zu genießen sind, der nächste Schritt in Nordkoreas Atomprogramm scheint damit getan. Was sich Nordkorea davon erwartet und wie es dazu kam - wir haben die wichtigsten Antworten auf einem Blick

Welches Ziel verfolgt Nordkorea damit?

Nordkorea ist das einzig verbliebene stalinistische Regime der Welt. Anders als etwa in Peking setzt man in Pjöngjang voll auf Isolation, das Atomprogramm soll dabei als eine Art Lebensversicherung gegen ausländische Interventionen dienen. Spätestens seit den 1990ern gehört dazu auch das Raketenprogramm. Bereits 1998 wurde erfolgreich eine Mittelstreckenrakte vom Typ Taepodong-1 getestet und auf Kurs Richtung Japan gelenkt.

Provokation, die offensive Demonstration von Stärke, gehört für Nordkorea zum Konzept der Abschreckung. Dass der nunmehrige Test ausgerechnet am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, erfolgte, passt da gut ins Bild. "Ich vermute irgendwie, dass sie genau deshalb heute etwas Feuerwerk abgebrannt haben", sagte der US-Atomwaffenexperte Shea Cotton.

Wie weit reichen die von Nordkorea getesteten Raketen?

Was die Interkontinentalraketen betrifft, wurden bis dato lediglich Einzelkomponenten wie der Antrieb einer solchen Rakete, deren Reichweite per Definition 5.500 Kilometer übersteigt, getestet. Der nunmehr behauptete Start einer solchen Rakete würde für das Regime in Pjöngjang einen neuen Meilenstein bedeuten. Der Typ Hwasong-14 könnte mit einer angestrebten Reichweite von rund 6.000 Kilometer auch amerikanisches Territorium (Alaska) erreichen. Bei der Rakete handelt es sich um eine neuere Variante der bereits bekannten KN-08, die bisher als Kandidatin für Nordkoreas erste funktionstüchtige Interkontinentalrakete galt.

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Welche Ziele könnte Nordkorea mit so einer Rakete grundsätzlich treffen?

Wie der Münchner Raketenexperte Markus Schiller gegenüber Spiegel Online festhält, handelt es sich bei der nunmehr zum Einsatz gebrachten KN-14 um ein vergleichsweise simples – dafür zuverlässiges – Design, das die USA und die Sowjetunion schon vor Jahrzehnten verwendeten. Der sogenannte Wiedereintrittskörper ist stumpf, was den (Wieder-)Eintritt in die Erdatmosphäre stabiler macht. Dadurch fliegt die Rakete jedoch auch langsamer, was eine Bekämpfung durch Flugabwehrraketen grundsätzlich erleichtert. Beruhigend ist das nicht wirklich. Im Umkehrschluss heißt das nämlich, dass diese Raketen am effektivsten gegen unbewegliche und unverteidigte Ziele, sprich: Großstädte, einsetzbar sind. Beim jüngsten Test wäre die 300.000 Einwohner-Stadt Anchorage in Alaska in Reichweite gewesen.

Was sagt dieser Test über die militärischen Kapazitäten des Landes aus?

Hier wird’s bereits schwierig. Zum Konzept der Abschreckung gehörten in der Vergangenheit immer wieder auch überzogene Angaben zur eigenen Schlagkraft. Laut einem Sprecher des US-Militärs handelte es sich bei dem Test am Dienstag auch nicht um eine Interkontinental-, sondern um eine Mittelstreckenrakete. Das südkoreanische Militär gab die Reichweite der Rakete mit 930 Kilometer an, schloss aber nicht aus, dass es sich dabei tatsächlich um eine Interkontinentalrakete gehandelt haben könnte. Die Flughöhe von 2.500 Kilometern lässt jedenfalls darauf schließen, dass eine deutliche höhere Reichweite erzielbar gewesen wäre.

Wie leistungsfähig die jetzt getestete Rakete aber wirklich ist, lasse sich aber vermutlich erst genauer abschätzen, wenn erste Bilder und vor allem Videos vom Start verfügbar sind, meint Experte Schiller. Daran könnte man etwa erkennen, um welchen Raketentyp es sich handelt und wie viel Gewicht im Gefechtskopf untergebracht war.

Verfügt Nordkorea über eine Atombombe?

Sehr wahrscheinlich ja. Laut eigenen Angaben gelang Nordkorea bereits 2006 der erste erfolgreiche Atombombentest. Messungen russischer und südkoreanischer Experten bestätigten damals zwar, dass eine Sprengung durchgeführt wurde. Ob es sich um eine atomare oder eine konventionelle Sprengung handelte, ist jedoch nach wie vor nicht vollständig geklärt. Insgesamt nahm Nordkorea seit 2006 nach eigenen Angaben fünf Atomwaffentests vor, davon zwei im vergangenen Jahr. Grundsätzlich behauptet Pjöngjang aktuell, über mehrere einsatzbereite Kernwaffen zu verfügen.

Was bedeutet der Test für den Westen?

Die Lage in der Region ist nach mehreren Tests ballistischer Raketen durch Nordkorea ohnehin angespannt genug. In den vergangenen Monaten kam es wiederholt zu verbalem Säbelrasseln zwischen Nordkorea und den USA.

Am Dienstag erklärte US-Präsident Donald Trump auf Twitter, es sei schwer zu glauben, dass Südkorea und Japan sich weiter damit abfinden würden. Er frage sich, ob dieser Typ nichts Besseres in seinem Leben zu tun habe, als Raketen starten zu lassen, schrieb er und spielte damit offenbar auf den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un an. "Vielleicht wird China erhebliche Maßnahmen gegen Nordkorea ergreifen, um diesen Unsinn ein für alle Mal zu beenden."

Wenige Stunden vor dem Raketentest zeigte sich auch China besorgt. Der chinesische UNO-Botschafter Liu Jieyi warnte am Montag, der Konflikt könnte "außer Kontrolle geraten", wenn es nicht gelinge, die Spannungen abzubauen.

Kommt es zur Eskalation des Konflikts?

Darüber kann aktuell nur spekuliert werden. Was zu beobachten ist, ist eine deutliche Verschärfung der Wortwahl, seit Donald Trump im Amt ist. Das "Zeitalter der strategischen Geduld" mit Nordkorea sei vorüber, dieser Ansatz sei gescheitert, sagte dieser erst vergangene Woche in Anspielung an die Politik seines Vorgängers Barack Obama. Zugleich betonten US-Präsident Trump und sein südkoreanischer Amtskollege Moon Jae-in aber, dass die Tür zum Dialog mit Pjöngjang "unter den richtigen Umständen" nach wie vor offen sei. Trump hatte mehrfach mit Alleingängen im Konflikt um das Atomprogramm Nordkoreas gedroht und auch militärische Aktionen nicht ausgeschlossen. Zugleich setzt Washington auf China, dem traditionellen Verbündeten Nordkoreas. Peking ruft die Parteien in dem Konflikt regelmäßig zu Verhandlungen auf und hat zuletzt auch den Druck auf Nordkorea verstärkt, etwa durch Kürzungen bei Kohleimporten aus Nordkorea, das damit um überlebenswichtige Einnahmequellen umfällt.

Wie groß ist Nordkoreas Armee?

Nominell verfügt Nordkorea über eine der größten Armeen der Welt. 1,3 Millionen Soldaten stehen unter Waffen, dazu kommen noch einmal 4,7 Millionen Reservisten. Kim Jong-Il rief 2009 die sogenannte Sŏn’gun-Politik aus und erklärte das Militär zum essenziellen Bestandteil der Nordkoreanischen Staatsdoktrin. Während die Bevölkerung weitgehend verarmt, fließen inzwischen inoffizellen Angaben zufolge mehr als 25 Prozent Bruttoinlandproduktes in Militärausgaben.

Seit wann sind Nordkorea und Südkorea verfeindet?

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Aufteilung der koreanischen Halbinsel in eine US-amerikanische und eine sowjetische Besatzungszone, aus der 1948 endgültig zwei unabhängige Staaten hervorgingen. Der Koreakrieg (1950 – 1953) entwickelte sich dann zum ersten Stellvertreterkrieg mit den USA auf der Seite Südkoreas und insbesondere China an der Seite Nordkoreas. Am 27. Juli 1953 wurde nach zweijährigen Verhandlungen schließlich ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen – einen Friedensvertrag gibt es bis zum heutigen Tag nicht.

Wie haben sich die beiden Länder seitdem entwickelt?

Südkorea ist heute die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt. In Nordkorea etablierte sich eines der rigidesten diktatorischen Systeme der Nachkriegsordnung, das mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch noch seine wichtigsten Handelspartner verlor. Weite Teile der Bevölkerung sind verarmt, leiden unter chronischer Nahrungsknappheit. Offizielle Angaben gibt es nicht. Wie dramatisch die Situation im Land ist, zeigt aber schon der Umstand, dass der Großteil der nordkoreanischen Einwohner zwar als Fabrikarbeiter in Städten lebt, der Anteil der Landwirtschaft am Bruttonationaleinkommen mit 25 Prozent aber vergleichsweise hoch ist - und das obwohl der Ertrag noch nicht wieder auf der Höhe vom Beginn der 1990er Jahre ist. In einem UN-Bericht wurden im Jahr 2014 detailliert systematische und weitreichende Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

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