Evakuierung aus Mariupol erneut gescheitert
In Russlands Krieg gegen die Ukraine gerät die Hauptstadt Kiew wieder stärker ins Visier. Auch aus dem Westen des Landes unweit der Grenze zu Polen werden heftige Luftangriffe gemeldet – schon längt ist nicht mehr nur der Osten der Ukraine Ziel von Putins Invasion. Ein Überblick.
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Die Schlacht um Kiew
Immer enger ziehen die Angreifer die Schlinge um die ukrainische Kapitale, bloß der Weg nach Süden ist noch frei. In der Nacht zu Samstag wurde mindestens drei Mal Flugalarm ausgelöst. Laut CNN war in der Stadt aus der Ferne am Samstagmorgen "minutenlanger" Beschuss zu hören.
Russische Verbände haben an den Ausläufern der Drei-Millionen-Metropole Stellung bezogen. Im Zentrum bereiten sich die Verteidiger auf den Großangriff vor. An strategisch wichtigen Punkten werden Sandsäcke aufgetürmt. "Wir bauen Kiew zu einer Festung aus", sagte Bürgermeister Witali Klitschko.
Laut britischem Verteidigungsministerium befindet sich der Großteil der russischen Bodentruppen etwa 25 Kilometer vom Zentrum Kiews entfernt. Auf Satellitenbildern war zu sehen, wie die Truppen bei ihrem Vormarsch auf die Stadt Artillerie abfeuerten.
Bei der Evakuierung des Dorfes Peremoha östlich von Kiew wurden offenbar sieben Menschen getötet. Überprüfen ließen sich diese Angaben nicht. Aus den nordwestlichen Vororten von Kiew hätten mindestens 60 Kleinbusse Menschen in Sicherheit gebracht. Der Kiewer Gebietsverwaltung zufolge waren es rund 4.000 Menschen.
- Die Tragödie von Mariupol
Seit Tagen ist die Stadt am Asowschen Meer umzingelt und belagert. Längst gibt es weder Wasser noch Strom, die Heizungen bleiben kalt. Lebensmittel sind Mangelware. Augenzeugen sprechen vom absoluten Horror.
Erneut ist ein Konvoi mit Hilfsgütern aufgebrochen, mit dem dann auch die Zivilisten der 400.000 Einwohnerstadt in Sicherheit gebracht werden sollten. Allein: Vier entsprechende Versuche scheiterten bereits in der Vergangenheit, und die Kriegsparteien wiesen sich gegenseitig die Schuld zu. Auch diesmal standen die 50 zur Evakuierung vorgesehenen Busse unter Beschuss und konnten nicht abfahren.
Laut ukrainischer Seite sei die Kolonne fünf Stunden an einem Kontrollpunkt festgehalten worden. Russland beschuldigte dagegen ukrainische "Nationalisten". Das ließ sich nicht überprüfen. Am Sonntag soll es einen weiteren Versuch geben. Das ukrainische Innenministerium teilte mit, Grenzschutzbeamte hätten 15 russische Soldaten bei einem Angriff auf Mariupol getötet.
Nach Angaben des ukrainischen Außenministeriums eine Moschee beschossen worden, in der mehr als 80 Kinder und Erwachsene – unter anderem aus der Türkei – Zuflucht gesucht hätten. Nach Angaben des Stadtrats wurden bisher mindestens 1.582 Zivilistinnen und Zivilisten durch russischen Beschuss und eine zwölftägige Blockade getötet.
Mittlerweile soll es den russischen Truppen offenbar gelungen sein, erste Stadtteile einzunehmen. Mariupol ist die letzte ukrainische Bastion zwischen den Separatistengebieten Donezk und Lugansk sowie der 2014 von Moskau annektierten Krim.
- Die große Furcht in Odessa
Die Armee, die Kremlchef Wladimir Putin in Marsch gesetzt hat, nimmt nun offenbar auch den Schwarzmeerhafen Odessa ins Visier. Starkes Indiz dafür sind die heftigen Kämpfe im Gebiet Mikolajiw. Der dortige Gouverneur Vitali Kim schrieb: "Die Besatzer haben nachts mit wahllosem, chaotischem Feuer Krankenhäuser und Internate beschossen." Fällt die Region, wäre der Weg nach Odessa frei. Und fiele auch die Hafenstadt an die Russen, wäre die Ukraine vom Zugang zum Meer abgeschnitten.
- Die Offensive im Osten
Auch in den Gebieten Donezk und Lugansk schufen die Separatisten, die sich 2014 abgespaltet haben, gemeinsam mit ihren russischen Waffenbrüdern Fakten: Im Oblast Lugansk kontrollieren die gemeinsamen Truppenverbände schon 70 Prozent des Territoriums. Zum Vergleich: Vor dem Einmarsch der Russen am 24. Februar dieses Jahres hatten ukrainische Kräfte auf 70 Prozent der Gebiete das Sagen.
- Der Luftkrieg im Westen
Immer öfter lässt Putin auch Ziele im Westen der Ukraine bombardieren. Laut Kiewer Angaben gerieten vor allem Luzk und Iwano-Frankiwsk ins Visier von russischen Langstreckenbombern des Typs Tu-95. In Lwiw, dem früheren Lemberg, gibt es zwar immer wieder Fliegeralarm, angegriffen wurde die historisch einmalige Stadt aber noch nicht.
Trotz der Übermacht der russischen Streitkräfte haben diese laut westlichen Militärexperten nicht jene Geländegewinne erzielt, die sie wollten. Im Gegenteil: Nach (nicht überprüfbaren) Angaben Selenskijs hat die russische Armee die schwersten Verluste seit Jahrzehnten erlitten. Demnach seien 360 russische Panzer sowie 1.200 gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden, außerdem etwa 60 Kampfflugzeuge und 80 Hubschrauber. 12.000 russische Soldaten seien getötet worden, 1.300 ukrainische gefallen.
Geht dem Kreml der Rubel aus?
Mit jedem Tag, mit dem die Ukraine dem russischen Ansturm standhält, wächst der Druck auf Putin, dem auch das Geld ausgehen könnte: Den Kreml soll der Krieg täglich 14 Milliarden Euro kosten – und der finanzielle Polster soll bloß noch für einen Monat reichen.
Selenskij: Entführung von Bürgermeister "Zeichen der Schwäche"
Präsident Selenskij forderte in einer Videoansprache in der Nacht zu Samstag die Freilassung des Bürgermeisters der von russischen Truppen besetzten Stadt Melitopol. Druck auf Bürgermeister oder ihre "physische Eliminierung" werde Russland nicht dabei helfen, ukrainische Städte zu übernehmen. Ein derartiges Vorgehen sei ein "Zeichen der Schwäche" Russlands. Kiew hatte am Freitag erklärt, dass der Bürgermeister des südukrainischen Melitopol, Iwan Fedorow, entführt worden sein soll. Dies ließ sich nicht unabhängig überprüfen. In einem Video war zu sehen, wie Vermummte einen Mann aus einem zentralen Gebäude mitnehmen.
Biden: Wir müssen Dritten Weltkrieg verhindern
Eine direkte militärische Konfrontation in der Ukraine zwischen dem US-Militär und den russischen Streitkräften muss nach Ansicht von Präsident Joe Biden verhindert werden, damit es nicht zu einem "dritten Weltkrieg" kommt.
Das US-Militär und die Nato-Partner werden "jeden Zentimeter" des Bündnisgebiets geeint und "mit voller Macht" verteidigen, schrieb Biden zuletzt auf Twitter. "Aber wir werden in der Ukraine keinen Krieg mit Russland führen. Eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland ist der dritte Weltkrieg - und etwas, das zu verhindern, wir uns bemühen müssen", schrieb der Präsident.
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