Warum London direkt auf harten „No-Deal“-Brexit zusteuert
Neuer Vorschlag, neu formierter Widerstand neuerliches Scheitern: Großbritanniens Politik scheint seit Wochen in einer fatalen Brexit-Spirale gefangen. Auch Theresa Mays diese Woche präsentierter Entwurf für einen überarbeiteten Deal für den EU-Austritt droht dasselbe Schicksal zu erleiden wie seine Vorgänger.
Diesmal ist es der rechte Flügel ihrer eigenen Partei, der die Zugeständnisse an die oppositionelle Labour-Partei nicht akzeptieren will. So will May unter anderem dem Parlament die Möglichkeit einräumen, über die Abhaltung eines neuerlichen Brexit-Referendums abzustimmen. Wie schon bei ihren vorigen Versuchen scheint die Premierministerin fürs erste auf Zeit zu setzen, um das Scheitern im Parlament zumindest hinauszuzögern. Ein Erfolg Mays und damit ein geregelter Ausstieg Großbritanniens aus der EU rückt damit aber in immer weitere Ferne.
Ähnlich pessimistisch sieht es auch der britische Spitzendiplomat und intime Kenner der Brexit-Verhandlungen Ivan Rogers. Rogers war nicht nur Botschafter Großbritanniens bei der EU, sondern auch Berater der Premierminister Tony Blair, David Cameron und zuletzt Theresa May in Sachen EU – bis er im Streit über Großbritanniens Brexit-Strategie aus dem Amt schied. „Die Unfähigkeit dieser Regierung, eine klare Linie zu steuern“, nannte er vor kurzem im Wiener Kreisky Forum „besorgniserregend“: „Die Situation droht von jetzt an, nur noch schlimmer zu werden.“
Das wahrscheinlichste Szenario ist für Rogers derzeit der „No-Deal“-Brexit, also der chaotische, vertragslose Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Mays eigene Regierung und umso mehr ihre Partei seien in der Brexit-Frage tief gespalten. Noch dramatischer die Situation im Parlament, wo es Mehrheiten nicht für, sondern immer nur gegen jeden Vorschlag in Sachen Brexit gebe. Ein Erfolg Mays im Parlament sei daher so unwahrscheinlich wie eine siegreiche Revolte des Parlaments gegen die Premierministerin.
May vor dem Sturz
Mays Fehler, so das Urteil des Diplomaten, sei von Anfang an gewesen, einen illusorischen Kompromiss mit der EU zu suchen:„Es gibt keine Halb-drinnen-halb-draußen-Partnerschaft mit der EU.“ Außerdem habe es die Regierung von Anfang an verabsäumt, die Briten über die Folgen des Brexit aufzuklären: „Man hat nie Klarheit darüber geschaffen, was Brexit wirklich bedeutet.“
Rogers gibt Theresa May kein langes politisches Leben mehr. Voraussichtlich im Sommer werde sie gestürzt und durch einen Brexiteer, also einen Verfechter des harten Brexit ersetzt. Der Favorit: Boris Johnson. Damit würden die Chancen auf einen Deal mit der EU weiter schrumpfen. Auch die Hoffnung vieler Pro-Europäer auf ein zweites Brexit-Referendum teilt Rogers nicht. Selbst wenn es zustande käme, würde es wahrscheinlich ein neuerliches „Ja“ zum EU-Austritt ergeben. Der jetzt schon fixierte Schlachtruf der EU-Gegner, „Verrat am Brexit“ sei schwer zu schlagen.
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