Warum iranische Häftlinge kurz nach ihrer Entlassung sterben
Sie hieß Yalda, war 19 Jahre alt und wurde für ihre Teilnahme an Protesten festgenommen, die sich seit September den Sturz des Mullah-Regimes zum Ziel gesetzt haben. Kurz nach ihrer Entlassung sprach Yalda einer Freundin noch auf die Mailbox und erzählte hörbar heiser, dass sie sich unter der Folter die Seele aus dem Leib geschrien, aber kein Geständnis unterschrieben hat. Sie wollte dann persönlich mehr Details erzählen. Wenige Tage später war Yalda tot. Suizid.
Ähnlich war es beim 14-jährigen Arshia: Er hatte einem Mullah den Turban vom Kopf gestoßen und war deswegen zwei Wochen in Haft. Zwei Tage nach seiner Enthaftung nahm er sich das Leben.
Drogen im Blut
Im Iran häufen sich Fälle, bei denen junge Demonstranten kurz nach ihrer Enthaftung unter mysteriösen Umständen sterben. In den sozialen Medien kursierten daraufhin Gerüchte, dass den Häftlingen kurz vor der Entlassung extrem hohe Dosen Schmerzmittel verabreicht werden, die dann zeitverzögert nach der Entlassung zum Tod führen. „In Yaldas Fall wurde bei medizinischen Untersuchungen ein hoher Drogenspiegel im Blut gefunden. Allerdings wird den Familien verboten, Obduktionen durchführen zu lassen. Sie werden bedroht, überhaupt über den Tod ihres Kindes zu sprechen. Daher kann man davon ausgehen, dass wir nur die Spitze des Eisbergs sehen“, erzählt Prof. Siroos Mirzaei – er leitet nicht nur die Nuklearmedizin in einem Wiener Spital, sondern ist auch Mitgründer des Vereins Hemayat und als Vorsitzender von Ärzte für Menschenrechte im Iran in Austausch mit seinen dortigen Kollegen.
Inzwischen wurden rund 20.000 Menschen im Zusammenhang mit den Aufständen festgenommen, etliche wurden Wochen später gegen Kaution freigelassen. Der 14-jährige Arshia hatte inoffiziellen Berichten zufolge nach seiner Enthaftung erzählt, dass er tagsüber geschlagen wurde und abends soll man ihm Tabletten zur Beruhigung angeboten haben.
„Solche Berichte gibt es immer wieder und man kann als gesichert annehmen, dass hier systematisch Arzneien mit psychoaktiver Wirkung gegeben werden“, erzählt Mirzaei und erklärt damit auch die auffällige Häufung von Suiziden: „Sie werden am Tag gefoltert, geschlagen, vergewaltigt und sind völlig durcheinander – besonders wenn es sich um junge Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren handelt.“ Es sei durchaus möglich, dass sie freiwillig Medikamente zu sich nehmen, die ihnen von vermeintlichen Sanitätern angeboten werden. „Wir wissen nicht, was sie genau bekommen, aber diese Medikamente scheinen Halluzinationen auszulösen und können zu Psychosen führen. Das würde erklären, warum sie dann psychisch so instabil sind, dass sie diese Schwelle zum Selbstmord leichter überwinden.“
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