Warum für Erdogan die Deutsch-Türken so wichtig sind

Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan.
In Deutschland ist die Zustimmung für die AKP höher als in der Türkei selbst.

Bei dem Referendum über die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei spielen die türkischen Wähler in Deutschland eine wichtige Rolle. Da die Abstimmung über die umstrittene Verfassungsänderung am 16. April sehr knapp ausfallen dürfte, könnten die rund 1,4 Millionen Wahlberechtigten in der Bundesrepublik - in Österreich sind etwa 116.000 Austro-Türken wahlberechtigt - zum Zünglein an der Waage werden.

Dies erklärt auch, warum die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) so intensiv um Stimmen in Deutschland wirbt.

1,4 Millionen Deutsch-Türken wahlberechtigt

In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen oder türkische Wurzeln haben. Gut 1,5 Millionen von ihnen haben weiterhin die türkische Staatsbürgerschaft, von denen etwa 1,4 Millionen im stimmfähigen Alter sind - ein wichtiges Wählerreservoir für Recep Tayyip Erdogan, um deren Stimmen der Präsident wahrscheinlich persönlich vor dem Referendum werben wird.

59,7 Prozent stimmten für AKP

Traditionell ist die Unterstützung für die islamisch-konservative AKP in Deutschland höher als in der Türkei selbst. So kam die Partei bei der letzten Parlamentswahl im November 2015 auf 59,7 Prozent der Stimmen, während sie in der Türkei 49,5 Prozent erhielt. Zweitstärkste Partei wurde die prokurdische HDP mit 15,9 Prozent (Türkei: 10,8), gefolgt von der säkularen CHP mit 14,8 Prozent (Türkei: 25,3).

Die HDP und die CHP lehnen den Wechsel zum Präsidialsystem entschieden ab. Die ultrarechte MHP, die 2015 in Deutschland auf 7,5 Prozent (Türkei: 11,9) kam, unterstützt dagegen die Verfassungsänderung, mit der die Vormachtstellung Erdogans zementiert werden soll. Allerdings haben viele MHP-Wähler sowie auch ein Teil der AKP-Basis Vorbehalte gegen die weitere Stärkung des Präsidenten.

Referendum

Bei dem bevorstehenden Referendum können die Auslandstürken vom 27. März bis zum 9. April abstimmen. Seit der Präsidentschaftswahl im August 2014 können die Türken im Ausland ihre Stimme in Konsulaten abgeben. Zuvor hatten sie nur in den Grenzen der Türkei abstimmen dürfen. Von ihrem Stimmrecht machten im November 2015 rund 41 Prozent der Türken in Deutschland Gebrauch.

Angesichts der kritischen Berichterstattung deutscher Medien über Erdogan und das Präsidialsystem kann die hohe Zustimmung der Türken in Deutschland für die AKP überraschen. Viele Türken in der Bundesrepublik informieren sich aber weiter über türkische Medien, die mehrheitlich regierungsnah sind. Das Abstimmungsverhalten hat darüber hinaus auch viel mit der sozialen Stellung zu tun.

Durchschnittliches Bildungsniveau gering

Das durchschnittliche Bildungsniveau der Türken, die als Gastarbeiter aus zumeist ländlichen und eher konservativen Regionen in die Bundesrepublik kamen oder aus Gastarbeiterfamilien stammen, ist weiter gering. Dies erklärt auch zum Teil, warum die CHP, die in der Türkei traditionell von der säkularen, urbanen und besser gebildeten Mittelschicht gewählt wird, unter den Türken in Deutschland eher schlecht abschneidet.

Auch spielt die Organisation der Parteien eine Rolle bei der Mobilisierung der Wähler. "Die AKP profitiert im Ausland von den religiös-konservativen Milieus, die in der Diaspora besonders gut organisiert sind", erklärt der Forscher Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. Mit der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) verfüge sie über einen Verband, der in nahezu jeder deutschen Großstadt präsent sei.

Die CHP dagegen sei "in sich eher politisch heterogen, übt keine ideologische Sogwirkung aus und ist zudem in Deutschland schlecht organisiert", erklärt Ulusoy. Entscheidend für das Referendum werde am Ende die Haltung zu Erdogan sein, glaubt er. "Obwohl beim Verfassungsreferendum über eine Systemfrage entschieden wird, wird die Mobilisierung in erster Linie durch die Person Erdogans bestimmt."

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat bereits mehrmals in Deutschland vor Anhängern seiner islamisch-konservativen Partei AKP gesprochen. Es könnte sein, dass er das im Vorfeld des für den 16. April angesetzten Referendums über eine Verfassungsreform in der Türkei erneut tun möchte.

Kann man überhaupt dagegen vorgehen?

Im Prinzip ja. Es gilt das Versammlungsgesetz, das bei allen Demonstrationen angewendet wird. Eine Kundgebung kann verboten oder aufgelöst werden, wenn etwa Ziele von Parteien oder Organisationen verfolgt werden, die verfassungsfeindlich und verboten sind, wenn die Veranstaltung einen gewalttätigen Verlauf nimmt oder Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht. Allerdings ist all das bei einer möglichen Erdogan-Kundgebung nach jetzigem Stand nicht zu erwarten. Außerdem müssen die Maßnahmen verhältnismäßig sein. Nicht verboten ist es, wenn ein Redner die deutsche Politik kritisiert. Das Grundgesetz schützt auch die freie Meinungsäußerung von Ausländern.

Neben dem rechtlichen gibt es auch einen politischen Ansatz: Die Bundesregierung könnte eine Einreise verbieten. Denn grundsätzlich entscheidet der Bund, ob und unter welchen Bedingungen sich ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder in Deutschland politisch äußern dürfen. Das geht aus einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster hervor, das im Sommer 2016 ein polizeiliches Verbot bestätigte, Erdogan via Leinwand auf eine Kundgebung in Köln zuzuschalten.
Bisher allerdings äußert sich Berlin nicht konkret zu dem Sachverhalt. Die Bundesregierung verweist darauf, dass ihr offiziell keine Reiseabsichten Erdogans nach Deutschland bekannt seien. Diplomatisch wäre eine Einreiseverweigerung wohl heikel - gerade mit Blick auf das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und Ankara.

Machtwort aus Berlin gefordert

Grünen-Chef Cem Özdemir hat die Bundesregierung aufgefordert, dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan Wahlkampf in Deutschland zu untersagen. „Die Bundesregierung sollte ihm deutlich machen, dass er vor dem Referendum hier nicht erwünscht ist“, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. Erdogan müsse dem Auswärtigen Amt mitteilen, dass er kommen wolle. „Und ich sehe keinen Anlass, warum man vor dem Referendum in der Türkei diese Verbalnote positiv bescheiden soll.“

Özdemir forderte außerdem mehr Einsatz der Bundesregierung für den deutsch-türkischen Journalisten und „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel. „Ich frage mich sowieso grade, wo ist eigentlich der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel?“, sagte der Grünen-Vorsitzende. „Da sitzt ein deutscher Staatsbürger, ein Journalist, in einem Nato-Land in Haft - und vom Außenminister hört man nichts oder zu wenig.“

NRW Landesregierung: Bund soll Auftritt verhindern

Die nordrhein-westfälische Landesregierung verlangt von der Bundesregierung, einen möglichen Wahlkampfauftritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland zu verhindern. „Es ist Aufgabe des Bundes, dafür zu sorgen, dass solche Auftritte weder in NRW noch irgendwo anders in Deutschland stattfinden“, sagte Innenminister Ralf Jäger (SPD) dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Die Freiheit der Meinungsäußerung hier darf nicht missbraucht werden, um für eine Verfassungsänderung in der Türkei zu werben, mit der Grundrechte eingeschränkt und die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollen.“ Es gelte zu verhindern, dass innertürkische Konflikte hierzulande ausgetragen werden.

Die Bild hatte unter Berufung auf einen Diplomaten aus Ankara berichtet, Erdogan wolle nach einem Besuch im März in Straßburg nach NRW reisen, um dort für das Präsidialsystem zu werben. Der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, sagte dazu der Deutschen Presse-Agentur: „Die Botschaft hat offiziell vom Präsidialamt keine Informationen bekommen“. Eine Bestätigung von der Regierung in Ankara gab es zunächst ebenfalls nicht.

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