Warschau will Ukraine auf EU-Kurs zurückbringen

Ex-Kommissionschef Barroso verdient sein Geld heute u.a. als gut bezahlter Redner
Hochspannung vor dem EU-Gipfel in Vilnius. Moskau setzt die Ukraine weiter unter Druck.

Vor dem EU-Gipfel in Vilnius am Donnerstag steigen die Spannungen. Denn der wichtigste Gast Ukraine hatte sich letzte Woche im Parlament überraschend gegen das geplante EU-Assoziierungsabkommen entschieden. Damit hat Russland, das eine Handels- und Zollvereinigung mit Ex-Sowjetrepubliken wie der Ukraine plant, einen wichtigen Sieg errungen.

Moskau setzt den Nachbarn mit Handelsboykotten und Zollschikanen unter Druck, wie die Regierung in Kiew mittlerweile offiziell eingesteht. Bei Verzicht auf das EU-Abkommen verspricht Russland, nicht am Gashahn zu drehen. Zudem winken aus Moskau Rüstungsaufträge.

Nun muss Staatschef Viktor Janukowitsch inländischen Druck aushalten – landesweit protestieren Ukrainer gegen den „Putin-Kurs“ ihrer Regierung, die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko hat im Gefängnis einen Hungerstreik angekündigt.

Schlüsselrolle Polens

„Die Verträge liegen immer noch auf dem Tisch“, ermunterten der EU-Kommissionsvorsitzende José Manuel Barroso sowie EU-Ratspräsident Van Rompuy das osteuropäische Land. Dabei gilt Polen als die treibende Kraft für die Annäherung – der Gipfel in Vilnius ist der dritte der „östlichen Partnerschaft“, eine polnisch-schwedische Initiative, die seit 2009 versucht, die ehemaligen Sowjetrepubliken an die EU zu binden.

Dazu will auch eine von Polen angeregte EU-Erklärung auffordern, die in Vilnius verlesen wird, so die Gazeta Wyborcza vom Dienstag. Sie soll auch eine vorsichtig formulierte Warnung an Russland enthalten, sich doch nicht in die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarn einzumischen. „Noch ist nicht alles verloren. Die Ukraine wird sich weiterhin Europa annähern“, so der polnische Präsident Bronislaw Komorowski, der in Vilnius Polen vertreten wird.

Polens Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski, der während der „Orangenen Revolution“ zwischen den Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowitsch und Viktor Juschtschenko erfolgreich vermitteln konnte, macht der EU darum Vorwürfe. Brüssel habe „geschlafen“ und hätte der Ukraine ein besseres und konkreteres Angebot machen sollen, um ihrer Wirtschaft zu helfen, so Kwasniewski, der für die EU die Gespräche in Kiew führte.

Das vorbereitete 1.200 Seiten starke Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine besteht aus einer Präambel, sieben Kapiteln, 43 Anhängen und 3 Protokollen. Es ist nach Angaben der EU-Kommission das am weitesten reichende, das die Europäische Union bisher ausgehandelt hat.

Das Abkommen befasst sich nicht nur mit Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und der Schaffung einer Freihandelszone, sondern auch mit der politischen Zusammenarbeit. Darin wird eine enge Kooperation in der Außenpolitik, in Justiz- und Grundrechtsfragen vereinbart.

Der Vertrag sieht eine ständige und schrittweise Anpassung von Vorschriften und Normen in der Ukraine an die Standards der EU vor. Das Spektrum reicht von Urheberrechten über Beschaffungsvorschriften und Wettbewerbsgesetze bis hin zu Vorschriften über den Finanzmarkt oder den Verkehr. Der Markt der EU wird fast vollständig für die Ukraine geöffnet - und umgekehrt. In verschiedenen Bereichen gibt es Übergangsfristen.

Sofern bestimmte rechtliche, organisatorische und politische Voraussetzungen erfüllt sind, sollen die Ukrainer auch ohne Visa in die EU reisen dürfen. Auch im Energiebereich ist eine enge Zusammenarbeit vorgesehen.

Die EU macht einen Hafturlaub der erkrankten Oppositionsführerin Julia Timoschenko zur Bedingung für ein weitreichendes Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Die Politikerin war 2004 Galionsfigur der pro-westlichen Orangenen Revolution in der Ex-Sowjetrepublik, ein Jahr später wurde sie Regierungschefin in Kiew.

Ein 2009 unterzeichnetes Gasabkommen mit Russland wurde der heute 52-Jährigen zum Verhängnis - sie sitzt seit 2011 eine international umstrittene siebenjährige Haftstrafe ab, weil sie ihrem Land aufgrund ungünstiger Vertragsbedingungen Schaden zugefügt haben soll.

3. März 2010: Timoschenko muss nach einem Misstrauensvotum des Parlaments in Kiew zurücktreten. Der Vorwurf: Amtsmissbrauch. Sie habe zum Nachteil der Ukraine ein Abkommen über russische Gaslieferungen geschlossen.

24. Juni 2011: In Kiew beginnt der Prozess, den die EU als politisch motiviert betrachtet. Im Gerichtssaal und auf der Straße kommt es zu Tumulten zwischen Gegnern und Unterstützern.

5. August: Timoschenko kommt in Untersuchungshaft.

11. Oktober: Trotz internationaler Proteste verurteilt ein ukrainisches Gericht Timoschenko zu sieben Jahren Straflager und umgerechnet 137 Millionen Euro Schadenersatz. Sie legt Berufung ein.

30. Dezember: Timoschenko kommt in ein Frauenlager in der Stadt Charkow, rund 450 Kilometer östlich von Kiew.

14./15. Februar 2012: Die Oppositionsführerin klagt über Rückenschmerzen und wird im Straflager von Spezialisten der Berliner Klinik Charite untersucht. Diagnose: Bandscheibenvorfall.

9. Mai: Die Ex-Regierungschefin kommt in eine Spezialklinik außerhalb des Straflagers und beendet nach etwa drei Wochen einen Hungerstreik.

21. Mai: Ein zweiter Strafprozess gegen Timoschenko wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung wird vertagt. Weitere Termine werden wegen Timoschenkos Krankheit immer wieder verschoben.

29. August: Das Oberste Gericht in Kiew lehnt Timoschenkos Berufung gegen das Urteil von Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs ab.

29. Oktober: Bei der Parlamentswahl in der Ukraine kann die Regierung ihre Macht behaupten. Aus Protest gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl tritt Timoschenko erneut in einen gut zweiwöchigen Hungerstreik.

18. Jänner 2013: Weitere schwere Anschuldigungen der Justiz sorgen für Aufsehen: Timoschenko müsse sich auch wegen Mordes an einem Abgeordneten verantworten, den sie 1996 in Auftrag gegeben habe.

30. April: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg urteilt, die Ukraine habe Timoschenko willkürlich in Untersuchungshaft genommen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Timoschenko bleibt im Krankenhaus unter Bewachung.

21. November: Im ukrainischen Parlament scheitern mehrere Gesetzentwürfe, die Timoschenkos Behandlung in Deutschland erlauben würden. Das geplante Assoziierungsabkommen der Ex-Sowjetrepublik mit der EU ist deswegen stark gefährdet.

Kommentare