"Wahnsinn, wenn auch im Libanon Chaos ausbricht"

Poster von Politikern über einer Straße in Beirut
Nach der Rücktrittsankündigung von Libanons Premier Hariri schrillen sämtliche Alarmglocken.

Nach der Rücktrittsankündigung von Premier Saad Hariri am vergangenen Wochenende wächst die Angst, der Libanon könnte zum neuen Spielball zwischen den Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran im Kampf um die Vorherrschaft in der Region werden. US-Außenminister Rex Tillerson warnte ausdrücklich vor einem "Stellvertreterkrieg" im Libanon. Noch ist es ruhig im Land, berichten die österreichischen Blauhelmsoldaten, 180 sind im Südlibanon stationiert.

Im multikonfessionellen früheren Bürgerkriegsland (1975 bis 1990) herrscht ein fragiles politisches Gleichgewicht zwischen Sunniten, Schiiten und Christen. Stärkste Kraft ist die vom Iran unterstützte Hisbollah. Arabische Staaten drängen ihre Bürger zur raschen Ausreise. Zypern hat sich bereits dafür gerüstet, als Drehscheibe für Evakuierungen westlicher Bürger zu agieren.

"Feuer im Nahen Osten"

"Die Situation ist gefährlich, aber eine unmittelbare Kriegsgefahr sehe ich vorerst nicht", sagt Militärstratege Walter Feichtinger zum KURIER. Aber schon eine größere politische Destabilisierung ist brandgefährlich. Auch für Europa, hat der Libanon doch fast 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. "Es wäre Wahnsinn, wenn auch im Libanon Chaos ausbricht." Sollte es gar zu einem bewaffneten Konflikt kommen, "dann ist wirklich Feuer im Nahen Osten", sagt Feichtinger.

Für UN-Generalsekretär António Guterres ist es "essenziell, dass kein neuer Konflikt in der Gegend ausbricht, das könnte verheerende Konsequenzen haben". Er führt intensive Gespräche mit Vertretern der Region. Auch Deutschland vermittelt, und Frankreichs Präsident Macron flog überhaupt gleich in die saudische Hauptstadt Riad, um sich bei Kronprinz Mohammed bin Salman für einen stabilen Libanon einzusetzen.

Mordpläne

Die politische und wirtschaftliche Stabilität steht auf dem Spiel, seit der vom sunnitischen Saudi-Arabien bisher unterstützte Hariri während eines Aufenthalts in Riad überraschend seinen Rücktritt erklärt hatte. In einer Ansprache sprach er von Mordplänen gegen ihn und erhob schwere Vorwürfe gegen den Iran und die Schiitenmiliz Hisbollah.

Hisbollah-Chef Nasrallah wies diese zurück und beschuldigte stattdessen Riad, Hariri von einer Rückkehr nach Beirut abzuhalten. Auch Libanons Präsident Aoun, der zur christlichen Bevölkerungsgruppe der Maroniten zählt, nannte die Umstände von Hariris Rücktrittserklärung als "inakzeptabel" – und hat sie auch nicht formell anerkannt.

Drei Erklärungen

Es kursieren drei Erklärungen, warum Hariri offenbar in Riad festgehalten wird:

Die Saudis haben von ihm verlangt, die Hisbollah zu entwaffnen. Das wäre für Hariri unerfüllbar, Krieg wäre die logische Folge.

Hariri verlor seine Funktion für die Saudis.

Die Familie Hariris hat starke wirtschaftliche Interessen in Saudi-Arabien und mit den "falschen" Leuten Geschäfte gemacht. Hariri ist demnach Teil der "Säuberungswelle" von Kronprinz Mohammed bin Salman.

Das hält Feichtinger für die wahrscheinlichste Erklärung.

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