Vor Europas Haustür droht schon der nächste Krieg
Unmittelbar vor Europas Haustür droht der Bürgerkrieg in Libyen vollends zu eskalieren. Einen entscheidenden Schritt dahin setzte am Donnerstag das türkische Parlament: Es gab dem Drängen von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan nach und bewilligte die Entsendung türkischer Truppen nach Libyen. „Türkische Vorauskommandos sind schon im Land“, schildert der sicherheitspolitische Analyst und Libyen-Experte Wolfgang Pusztai dem KURIER. Mit dem grünen Licht des Parlaments in Ankara könnte es dann ganz schnell gehen. „Binnen weniger Tage könnten die ersten Truppen in Libyen sein“, sagt Pusztai.
Ihr Auftrag wäre es, den Einheiten der bedrängten Regierung in der Hauptstadt Tripolis beizustehen. Seit Monaten wird die Stadt von den anrückenden Truppen von General Khalifa Haftar belagert.
Der 75-jährige ehemalige Weggefährte und spätere Todfeind des gestürzten Diktators Gaddafi beherrscht mit seinen Kämpfern bereits den Osten des Wüstenstaates. Doch trotz der Unterstützung von russischen Söldnern, von Ägypten, Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Emirate steckte Haftar bei seiner Offensive gegen Tripolis fest.
In diesem militärischen Patt will die Türkei aufseiten der Regierung eingreifen. „Wenn türkische Truppen in Libyen stationiert werden und wenn die türkischen Luftstreitkräfte in den Bürgerkrieg eingreifen, würde die Regierung den Krieg gewinnen“, ist sich Pusztai sicher.
Doch Libyens Nachbarn werden einer möglichen Intervention der Türkei nicht einfach nur zusehen. Vor allem Ägyptens Präsident Sisi hat bereits gewarnt: Interveniere die Türkei in Libyen, werde auch Ägypten in Libyen militärisch intervenieren, um seine Interessen zu wahren. Damit droht aber alles auf offene Kämpfe zwischen türkischen und ägyptischen Truppen hinauszulaufen, auf einen Krieg zwischen zwei Regionalmächten mit unabsehbaren Folgen.
Hochriskante Pläne
Dass der türkische Staatschef nicht abschätzen kann, auf welche Kriegsgefahr er sich einlässt, glaubt der österreichische Libyen-Experte nicht. „Erdoğan hofft, dass Ägypten nicht so weit gehen wird. Das ist jetzt ein Pokerspiel“, vermutet Pusztai. Doch auch Ägypten scheint bereits Vorbereitungen zu treffen. Ägyptische U-Boote wurden bereits vor der Küste im Osten Libyens gesichtet.
Die einzige Macht, die den türkischen Staatschef nun noch von seinen riskanten Plänen abbringen könnte, seien die USA. Doch angesichts des zuletzt so eisigen Klimas zwischen Ankara und Washington schätzt Pusztai die Erfolgschancen dafür als begrenzt ein.
Als Unterstützer der bedrängten Regierung von Premier Fayez al-Sarraj verfolgt der türkische Staatschef ein klares Ziel: wirtschaftliche Interessen, vor allem mit Blickrichtung Gas. Erst im November hatte Erdoğan mit der Regierung in Libyen ein – international heftig zurückgewiesenes – Seegrenzen-Abkommen geschlossen. Damit will er sich die Gasvorkommen im Mittelmeer sichern.
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