Viele offene Fragen
Dass die russischen Streitkräfte, insbesondere die Wagner-Söldner, auch äußerst brutal mit den eigenen Männern umgehen, ist nicht unbekannt. Dieses Video erreicht aber eine neue Dimension, und es wirft eine Menge an Fragen auf. So ist zum Beispiel unklar, wie Nuschin – den Prigoschin angeblich selbst in einem russischen Gefängnis angeworben haben will, er war ein verurteilter Straftäter – überhaupt in die Hände seiner Söldnerkollegen geraten konnte.
Er war seit September in Kiew in Gefangenschaft gewesen; in Haft hatte er auch ein Interview gegeben, in dem er sagte, er habe zu den Ukrainern überlaufen wollen. Darin stellte er sich als Opfer der Putin-Propaganda dar: „Es waren nicht die Ukrainer, die den Krieg gegen Russland begonnen haben. Es war Putin“, sagt er da.
Warum er als Überläufer ausgeliefert wurde? Auf diese Frage gibt es keine Antwort, zumindest nicht von offizieller Stelle. Einiges deutet darauf hin, dass die Ukraine Nuschin möglicherweise gegen eigene Soldaten ausgetauscht haben könnte. Das berichtet auch die russische Menschenrechtsorganisation Gulagu.net. Dort meldeten sich auch die Söhne des Getöteten zu Wort: „Wussten sie nicht, was ihm antun? Warum schicken sie einen Menschen in den Tod?“, fragt Nuschins Sohn Ilja.
Auch Ukraine sucht nach Verrätern
In Kiew äußert man sich zu den Vorgängen nicht. An und für sich hat die Ukraine versprochen, Kriegsgefangene gemäß Menschenrechtskonvention zu behandeln. Präsident Wolodimir Selenskij bekräftigte das erst kürzlich – er versprach allen, die sich freiwillig ergeben, eine menschenwürdige Behandlung.
Allerdings ist auch der ukrainische Umgang mit Verrätern in den eigenen Reihen umstritten. Nach der Befreiung Chersons wurden etwa Bilder publik, die zwei Kollaborateure zeigen, die an Masten gefesselt sind. Vor allem in den kürzlich befreiten Gebieten sucht der ukrainische Geheimdienst derzeit aktiv nach „Saboteuren“, wie Kiew jene Ukrainer nennt, die während der Besatzung mit den Okkupanten zusammengearbeitet haben. Die Londoner Times berichtet von mehreren „theatralischen“ Festnahmen hochrangiger Beamter.
Dass diese „Kollaboration“ oft nicht freiwillig zustande gekommen ist, ist bei den Festnahmen oft unerheblich. Zwar gibt es viele, meist Ältere, die auf Eigeninitiative mit den Russen kollaborierten, weil sie sich ideologisch Moskau nahe fühlten. Viele sind auch schon lange vor der Invasion angeworben worden, der russische Geheimdienst hat die Invasion so von langer Hand vorzubereiten versucht. Und oft sei auch Geld oder Erpressung im Spiel gewesen, berichtet die Washington Post - viele Ukrainer hätten schlicht kollaboriert, um russischen Grausamkeiten zu entgehen. Sie können den drakonischen Strafen – bis zu 20 Jahre Haft drohen „Verrätern“ – an sich entgehen.
Nur, für alle gilt das nicht. Polizisten oder Richter, die ihre Arbeit während der Okkupation fortsetzten, werden massiv bestraft – egal, ob sie zur Kollaboration gezwungen wurden oder nicht.
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