Russische Soldaten klagen an: "Sie sagen uns, wir seien nur Kanonenfutter"
Moskau geht mit seinen Mobilisierten grausam um: Wer nicht in den Krieg will, wird in Keller gesperrt oder erschossen, am Schlachtfeld lässt man Rekruten hilflos sterben. In Russland wächst der Groll
Die Videos gibt es zu Dutzenden, sie kursieren im ganzen Netz, und es werden immer mehr. „Drei Tage hatten wir nichts zu trinken und zu essen“, schimpft einer der russischen Soldaten, er ist noch dreckig von den Tagen in den Schützengräben. Viele seiner Kameraden seien tot, sagt ein anderer. „Sie haben uns absichtlich in den Tod geschickt. Und uns gesagt: Ihr seid ohnehin nur Kanonenfutter.“
318.000 Soldaten hat Moskau seit Beginn der Mobilisierung eingezogen, knapp 49.000 von ihnen seien an der Front, heißt es im Kreml. Wie viele den Einsatz überlebt haben, sagt man nicht. Klar ist nur: Die Särge, die nach Russland zurückkommen, werden mehr. Und mit ihnen wächst der Groll.
In den wenigen unabhängigen Medien, die es in Russland noch gibt, mehren sich darum auch die Geschichten von Betroffenen und Angehörigen, die von grausamen Zuständen in der russischen Armee erzählen. Und nicht nur sie sind empört, weil die Eingezogenen teils ohne Training, Ausrüstung, warme Kleidung oder gar Waffen auf das Schlachtfeld geschickt werden – auch aus der Armee selbst kommt mittlerweile offen vorgetragen Kritik.
"Offiziere rannten weg"
Dort ist man zornig, weil die Armeeführung die „Mobiki“, wie die Russen die Eingezogenen nennen, nur als „menschliches Material“ sehen würden. „Sie nennen die Leute ,Fleisch’, sie scheren sich nur um ihre Eigeninszenierung“, steht in einem offenen Brief, den eine Elite-Marineeinheit jetzt veröffentlicht hat. Die Einheit hat in der Ostukraine nahe Donezk 300 Mann in nur vier Tagen verloren. „Das ist das Ergebnis der ,sorgsam’ von ,großartigen’ Offizieren geplanten Offensive“, schreiben die Soldaten verbittert. Die Verantwortlichen, so der Vorwurf, würden sich aus Angst vor Konsequenzen verstecken.
Diesen Vorhalt gibt es auch in anderen Fällen. „Als der Beschuss begann, rannten die Offiziere alle schnell davon“, berichtet ein Soldat einer anderen Einheit, die kürzlich bei nahe Lugansk binnen eines Tages geschätzt 440 Soldaten verloren hat. Die Rekruten seien zuvor gerade mal zwei Wochen trainiert worden.
Deserteure in Kellern
Mit einfachen Soldaten, die desertieren oder den Kriegsdienst verweigern, hat man offenbar weniger Verständnis. Viele sollen laut dem unabhängigen russischen Medium Astra in Strafkolonien in den besetzten Gebieten untergebracht sein; auch davon gibt es Videos. Sie zeigen nasse, dreckige Keller ohne Licht, als Toilette dient ein Kübel, es tropft von der Decke „Es ist schrecklich“, sagt ein Mann im Hintergrund.
Auch das britische Verteidigungsministerium berichtet, dass die Russen alles unternehmen, um ihre Soldaten vom Desertieren abzuhalten – etwa, indem sie eigens Blockadetruppen hinter den eigenen Linien in Stellung bringen. Sie sollen die Mobilisierten mit Waffengewalt an der Front halten – „bis zum Tod“, heißt es.
Diese Praxis hat schon Stalin vor 80 Jahren im Kampf gegen die Nazis angewandt. Moskau sah die eigenen Bürger damals auch als unerschöpfliche Ressource an; die mehr als 6,2 Millionen toten Soldaten dienen dem Kreml bis heute als Beleg der „russischen Leidensfähigkeit“. Aber: Jene Deserteure, die Stalin mit Waffengewalt an der Front halten wollte, kämpften trotzdem nicht – viele verstümmelten sich selbst, um nach Hause zu kommen.
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