EU soll in Verteidigungsfragen näher zusammenrücken

Deutsche Soldaten besteigen einen Militärtransporter vom Typ Airbus A400
Nach dem Austrittsvotum der Briten unternehmen einige EU-Staaten einen neuen Anlauf, die Verteidigungsunion zu intensivieren.

Wenn am 26. und 27.09 die EU-Verteidigungsminister zu einem informellen Ministerrat in Bratislava zusammentreffen, wird Österreichs Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil nicht mit dabei sein. Es geht auch um ein Thema, das für Österreich nach wie vor heikel ist, nämlich eine Intensivierung der gemeinsamen Verteidigung.

Vor allem Frankreich und Deutschland, aber auch Italien wollen mit entsprechenden Initiativen Bewegung in die Sache bringen. So will die italienische Regierung eine Strategie zur Entwicklung einer gemeinsamen Struktur im Bereich Sicherheit und Verteidigung vorlegen.

Konkret soll sich eine beschränkte Zahl von EU-Staaten militärisch enger vernetzen und Brüssel Streitkräfte zur Verfügung stellen. Diese sollen den Kern eines künftigen europäischen Heeres bilden, heißt es im Dokument, über das die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" am Sonntag exklusiv berichtete.

Unterstützung für die Rüstungsindustrie

Italien schlägt zudem die Gründung eines europäischen Systems zur Ausbildung von Soldaten und eine verstärkte Zusammenarbeit im Trainingsbereich vor. Außerdem sieht der Plan eine vermehrte Unterstützung der europäischen Rüstungsindustrie sowie Steuerbegünstigungen für Militärprojekte vor.

Nach dem britischen EU-Austrittsvotum hat die seit Jahren schwelende Diskussion über eine gemeinsame EU-Armee wieder neuen Schwung bekommen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini legte kürzlich ihr Konzept einer "gemeinsamen Verteidigungsstruktur" vor, die unter anderem ein gemeinsames Militärhauptquartier in Brüssel und den Einsatz der theoretisch schon seit 2007 bestehenden EU-Battlegroups im Rahmen von EU-Missionen vorsieht.

Starke Befürworter einer Verteidigungsunion sind neben Frankreich und Deutschland auch die Visegrad-Staaten (Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen). Zurückhaltender geben sich etwa die baltischen Länder, die eine Verdoppelung von bereits im Rahmen der NATO existierenden Strukturen befürchten.

Deutsch-französische Initiative

Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien setzen sich Deutschland und Frankreich für eine wesentlich stärkere Zusammenarbeit der verbliebenen 27 ein, sowohl in Verteidigungs- als auch in Rüstungsfragen. "Die deutsch-französische Initiative ist so angelegt, dass alle eingeladen sind, sich einzubringen, aber keiner mitmachen muss“, sagte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. "Ich habe, bevor wir überhaupt die Initiative gestartet haben, mit dem britischen Kollegen gesprochen, um ihm zu erklären, dass das keine Initiative gegen Großbritannien ist, sondern für ein starkes Europa, und dass dieses Europa sich auch künftig gute Beziehungen zu Großbritannien wünscht - gerade im Verteidigungsbereich.“ Ein starkes Europa sei auch im britischen Interesse, dies gelte ganz besonders im Bereich der Sicherheit und Verteidigung.

EU soll in Verteidigungsfragen näher zusammenrücken
German Defence Minister Ursula von der Leyen inspects a Tornado aircraft during her visit at the Tactical Air Force Wing 51 'Immelmann' at German army Bundeswehr airbase in Jagel near the German-Danish border, August 17, 2016. REUTERS/Fabian Bimmer

Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon hatte Mitte September erklärt, sein Land werde sich gegen jeglichen Versuch zur Wehr setzen, in der Nato bereits bestehende Infrastruktur in der EU zu duplizieren. Es dürfe kein Rivale der Nato entstehen. Fallon wird übrigens an dem Treffen in Bratislava teilnehmen.

Zu den Vorhaben von Frankreich und Deutschland gehört z.B. ein permanentes Hauptquartier. Ein solches gehört auch zum Konzept der EU Außen- und Sicherheitsbeauftragten Frederica Mogherini. Ein Standort für so ein gemeinsames Hauptqaurtier, von dem aus militärische und zivilie Missionen gelenkt und koordiniert werden, wäre z.B. Brüssel.

Was würde das für Österreich bedeuten?

Ein EU-Vereidigungsbündnis ist rechtlich im Artikel 42.7 des Lissaboner Vertrags geregelt. Für Österreich und andere neutrale Staaten gibt es aber Ausnahmeregelungen, um nicht an militärischen Aktionen teilnehmen zu müssen. Politikwissenschaftler Prof.Heinz Gärtner vom Österreichischen Institut für Internationale Politik sieht allerdings Probleme für Österreichs Neutralität, wenn sich die EU tatsächlich zu einer Verteidigungsunion entwickeln würde. "Das wäre schlecht für Österreich, wenn dieser 42.7 tatsächlich verpflichtend werden würde", sagte Gärtner in einem KURIER-Interview zum Thema Neutralität.

Beim jetzigen Treffen in Bratislava sollen Prioritäten und der Fahrplan für erste Projekte diskutiert werden. Konkrete Beschlüsse wollen die Minister dann Mitte November treffen. Die EU-Staats- und Regierungschefs sollen dann bei ihrem Gipfel im Dezember grünes Licht geben.

EU-Kampfgruppen und Eurokorps

Seit 2005 hat die EU bereits sogenannte Kampfgruppen. Die Verbände aus 1.500 bis 3.000 Soldaten sollen bei Krisen schnell vor Ort entsandt werden - passiert ist das bisher nie. Mogherini will das ändern. Deutschland und Frankreich betonen dagegen die Rolle des Eurokorps, das nicht nur Truppen für EU-Missionen, sondern auch für NATO und UNO stellt. Es soll "in einem ersten Schritt" die EU bis zum Aufbau eigener Fähigkeiten unterstützen.

Europäisches Sanitätskommando

Die medizinische Versorgung gilt als einer der Engpässe bei Auslandseinsätzen. Deutsch-französisches Ziel ist deshalb ein länderübergreifendes Sanitätskommando, das etwa schnell Feldlazarette mit entsprechender Ausstattung und Ärzten vor Ort bringen kann.

Truppen- und Materialtransport

Ohne Transportflugzeuge oder Schiffe, die Truppen und Material zum Einsatzort bringen, hilft der beste Kampfverband nichts. Berlin und Paris fordern deshalb eines stärkere Bündelung von Transportkapazitäten auf europäischer Ebene und wollen einen "Europäischen Logistik-Knotenpunkt". Neu ist das nicht: Schon 1999 gab es eine solche deutsch-französische Initiative, die elf Jahre später zum European Air Transport Command (EATC) im niederländischen Eindhoven führte. Beteiligt sind bisher nur sieben EU-Staaten.

Aufklärung und Satelliten

Seit 2002 hat die EU bei Madrid ihr eigenes Zentrum zur Auswertung von Satellitenbildern. Doch die Fotos müssen bisher meist bei kommerziellen Anbietern gekauft werden. Deutschland und Frankreich schlagen nun einen "Kooperationsrahmen" vor, um die EU besser mit Bildern ihrer nationalen Militärsatelliten zu versorgen. Diese sollen dann auch der neuen EU-Behörde für Grenz- und Küstenschutz zu Gute kommen, die in der Flüchtlingskrise Europas Außengrenzen schützen soll.

Rüstungskooperation

Europas Verteidigung müsse auf einer "starken, konkurrenzfähigen und innovativen" EU-Rüstungsindustrie beruhen, fordern Paris und Berlin. Sie wollen dort "echte, europäische Akteure" - haben das in der Vergangenheit aber selbst oft verhindert, weil sie ihre nationalen Konzerne und heimische Jobs schützen wollten. Laut EU-Kommission liegt hier ein Einsparpotenzial von 100 bis 120 Milliarden pro Jahr. Auf der EU-Agenda stehen schon länger Aufklärungsdrohnen, Kommunikationssatelliten, Cyber-Abwehr sowie ein gemeinsames Tankflugzeug. Doch die Projekte kommen nur langsam voran.

Neue Entscheidungswege

Nicht nur wegen der Briten ist es im Verteidigungsbereich schwer, in Europa Fortschritte zu erzielen. Wenige Staaten sind bereit, Souveränitätsrechte abzugeben. Deshalb werden hier Entscheidungen in der EU bisher einstimmig gefasst. Nach Artikel 46 EU-Vertrag wären zwar auch Mehrheitsbeschlüsse möglich, wenn nur einige EU-Staaten enger zusammenarbeiten wollen. Genutzt wurde das bisher aber nie. Berlin und Paris wollen das nun ändern.

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