Wie roch Napoleon? Zu Besuch in Frankreichs Bibliothek der Düfte
Napoleon Bonaparte roch im Alltag recht banal. Denn der Mann, der sich einst selbst zum Kaiser der Franzosen krönte und durch kühne Schlachten weite Teile Europas unterwarf, trug ein wenig extravagantes Allerwelts-Parfüm, wie man heute weiß.
„Das holt ihn ein wenig von seinem hohen Sockel herunter, weil er ein Kölnisch Wasser mit Anleihen von Zitrusfrüchten benutzte, wie ein braver Familienvater“, sagt Anne-Cécile Pouant schmunzelnd.
Die Direktorin der Osmothèque in Versailles hält ein Exemplar vom „Eau de Cologne Napoléon“ in der Hand, nachempfunden auf Basis der historischen Formel. Es ist das einzige Parfüm, das hier verkauft wird, aber eben auch ein Vorzeige-Produkt, wurde es doch an diesem Ort nachgestaltet.
In den mit elegantem Kirschholz ausgestatteten Räumlichkeiten sind Flakons verschiedenster Größen und Formen in Vitrinen ausgestellt. Und doch handelt es sich bei der Osmothèque weder um ein Geschäft noch um ein Museum; vielmehr um eine Art Archiv oder Bibliothek der Parfüms und damit um eine weltweit einmalige Einrichtung.
Fast 6.000 Düfte, teils sehr alte und sogar zwischenzeitlich verschwundene, werden hier gelagert oder mit wissenschaftlicher Präzision rekonstruiert. Die Einrichtung, die rechtlich ein Verein ist, finanziert sich mit der Hilfe von Mäzenen, der größte ist Chanel, sowie durch die Organisation von Workshops und Konferenzen.
Bei diesen erfährt das Publikum mehr über die Welt der Düfte und bekommt auch Essenzen und Aromen zu riechen. Hauptzielgruppe der Osmothèque sind allerdings Parfümeure, für die das Archiv eine wichtige Arbeitsgrundlage darstellt.
Drei Missionen werden verfolgt, zählt Pouant auf: das Sammeln, um die Erinnerung vor allem an alte Parfüms aufrechtzuerhalten, das Übermitteln ihrer Geschichte und die Forschung, um das Wissen über sie voranzubringen.
Ältestes Parfüm ist 2.000 Jahre alt
Eine Gruppe von französischen Parfümeuren gründete vor fast 35 Jahren die Osmothèque, die auf dem Campus der Hochschule für Parfümerie, Kosmetik und Lebensmittelaromen ISIPCA in Versailles untergebracht ist. „Sie wollten die Düfte an einem festen Ort lagern, um sie zu klassifizieren und eine Art Stammbaum zu machen“, erzählt die Direktorin von den Anfängen.
Das älteste vorhandene Parfüm trug der König des Partherreichs, des heutigen Iran, im 1. Jahrhundert nach Christus. Die Formel enthielt 27 Zutaten, darunter Myrrhe, Harz, Honig oder Öl von Ebenholz – aber keine Mengenangaben. Die Rekonstruktion war in diesem seltenen Fall auch ein Stück weit Interpretation.
Alle vorhandenen historischen Formeln lagern streng verschlossen in einem Banksafe und geben Aufschluss über die Düfte der ägyptischen Pharaonen, des Mittelalters, der Renaissance und des französischen Königshofs bis hin zum „goldenen Zeitalter der modernen Parfümerie“ zwischen 1889 und den 1950er Jahren.
Diese Epoche war Pouant zufolge dank Marken wie Guerlain, Jean Patou oder Chanel besonders kreativ, ja „revolutionär“. In den Jahrzehnten darauf erfolgte dann eine andere Revolution: jene des Marketings, das Frankreichs Ruf als Land der Parfüms weltweit festigte. Er besteht bis heute.
Aber in der Osmothéque werden nicht nur „noble“ Düfte gelagert. Seit einigen Jahren hat sie ihre Kollektion um funktionelle Düfte erweitert, die als wichtige kulturelle Marker den Geruchssinn von Generationen prägten – wie der Zitronen- oder Lavendel-Geruch eines bestimmten Spül- oder Waschmittels, jener einer Seife oder eines Deos.
"In den USA muss es sauber riechen, in Frankreich animalisch"
Menschen speichern sie in der Kindheit ab, verbinden viele Emotionen mit ihnen. So werden die Geschmäcker auch kulturell geprägt, sagt Thomas Fontaine, Präsident der Osmothèque und selbst Parfümeur mit einem eigenen Geschäft. „In den USA muss es sauber riechen, da werden animalische Noten viel weniger akzeptiert als in Frankreich.“
Zugleich lebte die Branche immer von der Globalisierung, vom internationalen Handel und Austausch. „Die Verwendung exotischer Noten aus anderen Teilen der Welt macht den Reichtum unserer Arbeit mit aus“, betont Fontaine. „Ohne Entdecker wie Marco Polo oder Christopher Kolumbus wäre die Parfümerie nicht, was sie heute ist.“
Eine Weltreise erlaube sie der Nase. Und im Fall der Osmothèque auch eine Zeitreise.
Tierische Stoffe in den meisten Parfüms: Moschus und Ambra
Deren Schätze, die Parfums, aber auch eine Reihe von Grundstoffen zu ihrer Herstellung, werden in einem hinteren Teil der Räumlichkeiten hinter abgedunkelten Glasscheiben gelagert. Die Temperatur im Inneren der Schränke liegt konstant bei zwölf Grad, die Behälter sind fest verschlossen.
„Ein Parfüm fürchtet in erster Linie die Oxidierung. Deshalb müssen Sauerstoff, Hitze und Licht, die diese stimulieren, möglichst davon ferngehalten werden“, erklärt Thomas Fontaine, während er eine der beschrifteten Schubladen aufzieht, ein Fläschchen in die Hand nimmt und vorsichtig öffnet. Ein holzig-würziger Geruch strömt heraus: Moschus.
Gewonnen wird er aus dem Moschusbeutel des männlichen Moschustiers, das früher dafür getötet wurde, inzwischen aber geschützt ist. Sollte irgendwann der noch vorhandene Vorrat aufgebraucht sein, so der Parfümeur, werde man auf künstlich hergestellten Moschus zurückgreifen.
Zu den Grundstoffen, die zunehmend von synthetischen Substanzen ersetzt werden, gehört auch die graue Ambra. Sie wird im Verdauungstrakt der immer seltener anzutreffenden Pottwale gebildet und in Klumpen auf dem Meer treibend gefunden.
EU reguliert Duft-Moleküle: "Noch nie ist jemand an einem Parfüm gestorben"
Allerdings sieht Fontaine sein Metier nicht nur vom schleichenden Verlust mancher natürlicher Zutaten bedroht, der sich wohl ausgleichen lässt. Eine echte Gefahr gehe vielmehr von der Anti-Parfüm-Bewegung aus, die etliche Inhaltsstoffe auf europäischer Ebene zu verbieten versuche, seit ein dänischer Dermatologe bei einer Patientin eine allergische Hautreaktion feststellte.
„Die Liste mit Molekülen, die die EU verbieten will, wird immer länger, zuerst waren es 26, jetzt sind es 90 – geht das so weiter, können wir irgendwann unsere Arbeit schlicht nicht mehr machen“, warnt Fontaine.
In der Diskussion stehe etwa ein Molekül, das im Estragon und im Basilikum auftrete. „Gegessen werden darf beides, dafür ist es nicht zu giftig – aber Parfüms, die nur auf der Haut aufgetragen werden, müssen ohne das Molekül auskommen?“ Noch nie sei jemand an einem Parfüm gestorben.
Er setzt sich dafür ein, dass nicht nur die Geschichte und die Vergangenheit der Düfte weitergetragen wird. Sie sollen auch eine Zukunft haben – was nicht so selbstverständlich sei, wie es scheine, warnt er. Das Parfüm sei mehr als ein Verkaufsprodukt, es sei ein kulturelles Erbe, das von der Menschheit und von Menschen erzähle; von den Pharaonen oder Napoleon; und für die späteren Generationen auch von uns.
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