62 Prozent für Rücktritt
Am Dienstag sollte sich die Veröffentlichung ihres Berichts verschieben, weil nun auch Scotland Yard zu den Feiern ermittelt. Aber am Mittwoch berichteten Medien, Gray könne ihren Report nun jederzeit an den Premier schicken, was bange Stunden für diesen bedeuten dürfte. Denn ohne ihren Befund zu kennen, wollen bereits 62 Prozent der Briten Johnsons Rücktritt sehen, so die neueste YouGov-Umfrage. Auch Keir Starmer, Chef der oppositionellen Labour Partei, forderte am Mittwoch in einer turbulenten Fragestunde einen kämpferischen Premier abermals zum Abgang auf, was dieser ablehnte.
Was Boris Johnson aber besonders fürchten muss, ist die Reaktion der eigenen Tory-Mandatare auf Grays Bericht. Denn eine Handvoll konservativer Abgeordneter hat bereits ein Misstrauensvotum innerhalb der Fraktion mit Briefen an das zuständige Komitee erbeten. Andere wollten noch die Ergebnisse der Untersuchung abwarten, aber immer mehr Beobachter erwarten eine Abstimmung. Dazu wären 54 Briefe nötig.
Grays Bericht könnte das Fass zum Überlaufen bringen. Weil ihr Nachname das englische Wort für "grau" ist, hört man von Briten und Medien dieser Tage Witze und Wortspiele ohne Ende: Von der Grauzone, in der sich Johnson gerne bewege, ist die Rede bis hin zur Hoffnung, Gray könne "Partygate"-Beweise "schwarz auf weiß" liefern. In dieses Bild passt auch, dass sie als graue Eminenz des Londoner Beamtentums gilt.
Keine Scheu vor Granden
Die BBC nannte Gray einmal "die mächtigste Person, von der Sie noch nie gehört haben". Andere gaben ihr den Spitznamen "Inquisitor-in-Chief", also Oberinquisitor, weil sie 2012 bis 2018 im Kabinettsbüro für Fragen von Anstand und Ethik zuständig war.
Ein Journalist, der früher als PR-Mann mit ihr zu tun hatte, beschrieb sie kürzlich als "zwei Drittel Schuldirektorin und ein Drittel Barfrau". In ihrer Untersuchung von Partys hilfreich gewesen sein könnte, dass sie tatsächlich Erfahrung im Umgang mit Trank und Musik hat. Denn sie ist mit dem Country-Sänger Bill Conlon verheiratet und betrieb in den 1980er-Jahren eine Zeit lang ein Pub in Nordirland. "Ich habe es damals geliebt, würde es aber nie wieder tun", erzählte sie der BBC von der Karriere-Pause. Zur Party-Detektivin wurde Gray im Dezember, als Johnsons Kabinettssekretär selbst mit Feiern in Verbindung gebracht wurde.
Dass sie keine Scheu im Umgang mit den Mächtigen hat, zeigte sie schon 2010. Als David Cameron nach seinem Amtsantritt vor Beamten Pläne darlegte, meldete sich laut Financial Times an einer Stelle Gray zu Wort und wies ihn in die Schranken: "Es tut mir leid, Premier, aber das können Sie nicht tun."
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