Van der Bellen in Israel: „Austria? Habe die Ehre!“
„Ostmark, das muss ich Ihnen als Österreicher nicht erklären. Den Begriff kennen Sie“, sagt eine Dame, die durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem führt zu einem Teil der Besucher, die Alexander Van der Bellen auf seinem 5-tägigen Staatsbesuch in Israel begleitet. Die Tafel, auf der Ostmark steht, zeigt die Zahl ermordeter Juden dort. Dass wenige Stunden später ein Facebook-Posting der Burschenschaft Teutonia publik wird, in dem Ostmark synonym für Österreich verwendet wird (Anm. Ostmark: Bezeichnung der Nationalsozialisten für das annektierte Österreich), kann zu diesem Zeitpunkt niemand wissen. Auch nicht, dass FPÖ-Wehrsprecher und Teutonia-Mitglied Reinhard Bösch, „den historischen Begriff“ erst nicht kommentieren will, um ihn dann als „heute nicht mehr verwendbar und inakzeptabel“ zu bezeichnen.
Ewiggestriges ist plötzlich präsent. Die Vergangenheit dominiert die Gegenwart. In Österreich wie in Israel.
In der „Halle der Erinnerung“ in Yad Vashem, in der der sechs Millionen ermordeten Juden gedacht wird, verbeugt sich Van der Bellen. Lange. Die Arme auf seinem Oberkörper gekreuzt. Der Bundespräsident weiß um die Bedeutung dieser Geste. Und um die der Worte. „Österreich ist mitverantwortlich für die Shoah. Viele Österreicher waren unter den Tätern.“
In jeder offiziellen Rede, in jedem Gespräch – ob mit Amtskollegen Reuven Rivlin oder mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu – ist Antisemitismus neben Israels Feindbild Nummer Eins, dem Iran, das Thema. Österreich wird als „wahrer Freund“, die ÖVP-FPÖ-Koalition als die am „meisten pro-israelische“ Regierung seit jeher bezeichnet. Und das-trotz des Boykotts der israelischen Regierung gegenüber FPÖ-Regierungsmitglieder ob ihrer „antisemitischen Wurzeln“.
Ein Widerspruch – für viele. So wie das neun Millionen Einwohner Land selbst für viele voller Widersprüche, Parallelwelten ist.
Da der Botschaftssitz Tel Aviv, dort die „Hauptstadt Jerusalem“. Keine 50 Kilometer von der multikulturellen Metropole Tel Aviv, die zum zweiten Silicon Valley avanciert, entfernt Ramallah. Amtssitz des Präsidenten Palästinas Mahmoud Abbas, der nicht legitimiert, sich seit 2009 keiner Wahl mehr stellt. Das palästinensische Autonomiegebiet im Westjordanland, in dem an jeder Seitenstraße ein Schwerstbewaffneter steht. „Zutritt für Israelis verboten. Lebensgefahr.“ Der Checkpoint Beitunia trennt das Land und Welten. Das Land, das sich im April Neuwahlen stellen muss, das im Mai den Eurovision Song Contest austragen wird. Das Land, das in sich gespalten ist.
ArafatGrab
Eine Zwei-Staaten-Lösung ist in weite Ferne gerückt, für viele in Vergessenheit geraten. Verblasst scheint indes auch das einstige Image Österreichs - ob der Waldheim-Affäre oder der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung, die dazu führte, dass Israel zwischen 2000 und 2003 keine Botschaft in Österreich hatte. Das liegt an der Politik von Sebastian Kurz und nunmehr von Alexander Van der Bellen. Das liegt gegenwärtig aber auch an Fußballnationaltrainer Andreas Herzog, dem „wichtigsten Import Österreichs“ wie Wirtschaftsminister Eli Cohen sagt. Und daran, dass beide Länder –zumal von vergleichbarer Größe – seit geraumer Zeit gute Beziehungen im Bildungsbereich haben und gute Geschäfte miteinander machen, die noch besser werden sollen. „Israel gehört zu den am meisten digitalisierten Ländern der Welt“, sagt Wirtschafts- und Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck, die Israel als „wichtigsten Partner in der Region“ und Österreich diesbezüglich als „Brücke zu Europa“ sieht. 1200 heimische Firmen sind in Israel aktiv. Die Strabag baut den Wasserversorgungstunnel Ashdod-Jerusalem, Plasser & Theurer beliefert die Bahn, Siemens liefert die Waggons und Doppelmayr baut in Haifa eine Seilbahn.
VdB Wirtschaft
Positiv auch der Trend im Tourismus. Österreichs Statistik weist 650.000 Nächtigungen aus Israel aus, das Potenzial liege bei einer Million. Wöchentlich gibt es 38 Direktflüge zwischen Wien und Tel Aviv, ab dem Sommer sollen zwei via Salzburg hinzukommen. Wer sich in Jerusalems Altstadt als Tourist und Österreicher zu erkennen gibt, der bekommt ein „Ah, Austria? Habe die Ehre!“ zu hören.
„Es gibt viel zu sagen, was die Vergangenheit betrifft. Aber es gibt auch viel über die Zukunft zu sagen,“ sagt Van der Bellen. Nach Gesprächen mit Rivlin, Netanjahu und Abbas, die alle von „Respekt“ und „angenehmer, freundschaftlicher Atmosphäre“ geprägt waren, nach Treffen mit Auslandsösterreichern, Schülern und Altösterreichern aus dem Zentralkomitee der Juden aus Österreich und nach Stippvisiten bei Start Ups („Ich habe die Hälfte der Zeit nicht verstanden, was sie tun – aber sie sind erfolgreich“) kommt er nochmals auf das Thema zu sprechen.
„Zutiefst erschütternd“ sei der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte jedes Mal aufs Neue für ihn. Jenen, die nur im Entferntesten Ressentiments hegen, rät er Yad Vashem zu besuchen, um zu erfahren, „wie niederschmetternd“ es ist. „Die paar, die es nie lernen, wird es immer geben“, schließt Van der Bellen an, „damit müssen wir leben.“
Kommentare