USA: Warten auf Joe
Es wäre vieles einfacher, würde er sich beizeiten erklären. Würde Joe Biden, Ex-Senator und Ex-Vizepräsident, Dinosaurier und Urgestein der Demokratischen Partei seit mehr als 45 Jahren, endlich seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika anmelden. Oder – wie jüngst der Milliardär Tom Steyer – den Verzicht darauf.
Dann wüsste die Partei, die den Republikaner Donald Trump im November 2020 zu einer einmaligen unamerikanischen Verirrung des Zeitgeistes stilisiert und ablösen will, woran sie ist. Mit Biden als Kandidat würde sich das heuer auf gut drei Dutzend „Hopefuls“ geschätzte Bewerberfeld radikal lichten.
Schlachtschiff
Gegen das Schlachtschiff aus Scranton/Pennsylvania, das wissen alle, wirken manche der gehandelten Namen wie Schlauchboote, die bei der ersten Welle havarieren. Mit Biden als Kandidat hätte das durch den Startschuss der progressiven Neuengland-Senatorin Elizabeth Warren begonnene Ringelreihen möglicher Anwärter und Anwärterinnen auf den Job im Weißen Haus sein Gravitationszentrum gefunden.
Der 76-Jährige ist auf allen politischen Feldern so mittig und gemäßigt, so berechenbar und anschlussfähig, so volksnah und weltläufig, dass sich die Konkurrenz vom Wähler leicht einsortieren ließe in das Spannungsfeld, das der Partei der Kennedys und Clintons absehbar droht: Dezent linksliberale Mitte mit gedämpftem Umverteilungs-Anspruch und Rückbesinnung auf Amerikas Führungsrolle in der Welt. Oder der (für amerikanische Verhältnisse) radikale Sturm-und-Drang der Progressiven um Bernie Sanders. Und seiner mit 29 Jahren fast noch jugendlichen Bannerträgerin im Kongress, der ambitionierten Alexandria Ocasio-Cortez. Beide verfolgen in sozialen Fragen und Umweltdingen eine Agenda, die bei Kritikern intern wie extern unter Sozialismusverdacht steht.
Aber Joe Biden erklärt sich nicht. Noch nicht. Irgendwann in den nächsten Wochen soll es soweit sein, sagt der Mann, der sich schon zwei Mal erfolglos für das höchste Staatsamt in die Spur begeben hat. Und der im ersten Amtsjahr das 79. Lebensjahr vollenden würde.
Männlicher Zentrismus
Dass sich Biden zutraut, Donald Trump in 22 Monaten zu schlagen, steht fest. Gegenüber Gefolgsleuten hat der weißhaarige Mann mit dem Haifisch-Lächeln bekundet, er sehe derzeit niemanden in den eigenen Reihen, der oder die es wirklich in sich habe, den Amtsinhaber vom Sockel zu holen. Außer sich selbst.
Gewiss, auch Biden kann Populismus und Gewerkschaftssprech. Bei Blaumann-Trägern („Blue collar workers“) hat er, bestätigt von der Meinungsforschung, noch immer einen Stein im Brett. Aber reicht das?
Und: Ist ein männlicher Zentrismus mit Herz und Seniorenheim-Touch das, was Demokraten und deren Wählerinnen und Wähler 2020 wirklich wollen und brauchen? Joe Biden, so kommentieren US-Zeitungen, wäre durchaus der richtige Mann, wenn es allein darum ginge, Industriearbeiter aus Michigan oder Pennsylvania sowie Wähler aus dem ländlichen Wisconsin zurückzuerobern, die sich Trump 2016 mit klebriger Anti-Globalisierungs-Rhetorik angelacht hat.
Junge, gebildete Eliten
Bei urbanen Jung-Eliten, gebildeten Frauen, aufstrebenden Latinos und Schwarzen, kurzum: bei der demografischen Zukunft Amerikas, in der Weiße spätestens ab 2050 keine Pole-Position mehr haben werden, dagegen sieht die Lage anders aus.
Da gilt Biden eher als Kandidat für die Ehrennadel. Aber nicht fürs Weiße Haus. Ausdruck dieser Befindlichkeit ist ein Phänomen, das es so nur bei den Demokraten gibt. Der misogyne Unterton, den Donald Trump seit Bekanntgabe seiner Kandidatur im Juni 2015 immer wieder an den Tag legt, hat so viele Frauen in die Parlamente gespült wie noch nie.
Allein im Repräsentantenhaus vertreten seit Anfang Jänner 89 Demokratinnen ihre Wahlkreise, aber nur 13 Republikanerinnen.
Frauen im Rennen
Auch aus diesem Kontrast lässt sich erklären, warum mit Elizabeth Warren, Kamala Harris, Kirsten Gillibrand und Amy Klobuchar gleich vier sehr ambitionierte Senatorinnen seit Wochen eine Bewerbung für die im Jänner 2020 beginnenden „Primaries“, die parteiinternen Vorwahlen, erwägen. Warren hat bereits so gut wie Nägel mit Köpfen gemacht, als sie um den Jahreswechsel den Finger herausstreckte, auch um ihre Strahlkraft bei potenziellen Wahlkampf-Finanziers zu testen.
Respekt erworben
Kamala Harris, die ehemalige Strafverfolgerin aus Kalifornien, die sich durch ihre inquisitorische Befragung des Supreme Court-Richters Brett Kavanaugh landesweit Respekt erworben hat, geht einen anderen Weg. Die Tochter asiatisch-jamaikanischer Eltern hat eine Biografie herausgebracht und stellt sich gerade, mehrere Nummern kleiner als Michelle Obama, bei Lesungen dem Publikum vor.
Als die 54-Jährige am Mittwoch in Washington vor vollem Haus aus ihrem Leben erzählte, war am Ende echter Enthusiasmus zu spüren. „In der Sache hart und klug. In der Ansprache gewinnend und empathisch. Sie sollte antreten“, sagte ein sich selbst als Reagan-Demokrat bezeichnender Finanzbeamter nach der Veranstaltung dem KURIER.
Ausnahmetalent
Tut sie es, könnte auch Beto O’Rourke den Schritt wagen. Der 46-Jährige, der zuletzt dem Republikaner Ted Cruz in Texas beinahe den Sitz im Senat weggeschnappt hätte, wird wegen seines rhetorischen Ausnahmetalents und seines Alters als „weißer Obama“ bezeichnet.
Ein Etikett, von dem man noch nicht weiß, was es bei Joe Biden auslöst. Er ist dem echten Obama bis heute ein altväterlicher Freund.
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