Was war geschehen? Massey hatte am 6. Juli nachts den Notruf 911 alarmiert, weil sie in ihrem Garten Geräusche gehört und eingeschlagene Fensterscheiben an einem Auto entdeckt habe.
Es erscheint Sean Grayson, ein Cop, der in den vergangenen vier Jahren für sechs verschiedene Polizei-Departements tätig war. An der Haustür erkundigt er sich nicht sonderlich freundlich nach der Situation. Grayson, ein bulliger Typ, fragt die zweifache Mutter, ob sie geistig in Ordnung sei. Massey, im Bademantel, sagt: „Tun Sie mir nicht weh.“
Kurz danach, all das ist durch die Body-Kamera eines Kollegen von Grayson dokumentiert, stehen die beiden Beamten in Masseys kleinem Apartement. Sie wollen ihren Ausweis sehen. Während die Frau auf dem Sofa in ihrer Tasche nestelt, entdeckt Grayson auf dem Herd einen Topf mit kochendem Wasser. Er fordert die Frau auf, den Herd abzustellen: „Wir wollen ja keinen Brand, während wir hier sind.”
"Ich werde dir verdammt noch mal in dein verdammtes Gesicht schießen"
Dann kommen die entscheidenden Sekunden. Massey geht zum Topf und sagt: „Im Namen Jesu, ich werde dich züchtigen.“ Sie meinte, wie später Juristen sagten, ganz offenkundig den Wassertopf. Grayson bezieht die Aussage aber offenbar auf sich und rastet verbal aus. „Das machst du verdammt noch mal nicht, oder ich schwöre bei Gott: Ich werde dir verdammt noch mal in dein verdammtes Gesicht schießen.“
Kurz darauf zieht er seine Waffe. Massey, total verängstigt, entschuldigt sich, duckt sich mit Topf-Lappen in den Händen auf den Boden, reißt die Arme nach oben. Sie kommt gar nicht dazu den Topf anzufassen. Da fallen drei Schüsse. Grayson hat seine Drohung wahr gemacht. Kopfschuss.
Sonya Massey - die Cops unterhalten sich darüber beinahe geschäftsmäßig („Sie ist hinüber”) - ist auf der Stelle tot. Grayson hält seinen Kollegen davon ab, einen Sanitätskoffer zu holen.
Im weiteren Verlauf erfindet Grayson die Geschichte, dass die Frau ihn mit dem heißen Wasser hätte behelligen wollen. Nirgends geben die insgesamt 37 „absolut niederschmetternden" (CNN) Video-Minuten auch nur den leisesten Hinweis darauf. Grayson erklärt per Funk gegenüber der Polizei-Einsatzzentrale, Massey sei selbst verschuldet ums Leben gekommen.
Die Familie des Opfers, vor allem Vater James Massey, ist empört darüber, wie die Behörden kommuniziert haben. Er ging davon aus, dass ein Einbrecher seine Tochter erschossen hat, sagte er bei einer Presse-Konferenz. Als sein Bruder später im Internet von dem tödlichen Übergriff las, fiel er aus allen Wolken.
Grayson plädiert auf "nicht schuldig"
Grayson ist inzwischen fristlos entlassen und angeklagt worden. Vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung mit einer Schusswaffe und Amtsmissbrauch werden dem 30-Jährigen vorgeworfen. Wird er schuldig gesprochen, drohen nach dem Gesetz mindestens 20 Jahre Gefängnis. Grayson selber plädierte bei der Anklageverlesung auf „nicht schuldig”.
Die Familie Massey wird anwaltlich durch den Bürgerrechtler Ben Crump vertreten, der seit zehn Jahren mit Fällen tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze zu tun hat. Er vergleicht die Tötung Sonya Masseys mit den landesweit auf Empörung gestoßenen Bildern vom Tod George Floyds, der 2020 durch unverhältnismäßige polizeiliche Gewalteinwirkung auf den Hals starb.
Mutmaßliche Rassisten-Tätowierungen
Crump versteht nicht, warum Grayson nach vielen Arbeitsplatzwechseln in ganz kurzer Zeit überhaupt noch eingestellt wurde. Er wurde offenbar wegen schweren Fehlverhaltens aus der Armee entlassen. Außerdem liegen zwei Fälle von Alkohol am Steuer vor. An seinem Arm trägt er Totenkopf-Tätowierungen, die in Kreisen von weißen Rassisten beliebt sind. die Bei genauerer Prüfung des Charakters und anderen Einstellungs-Mechanismen, so deutet der Anwalt an, hätte die Tragödie um Sonya Massey vielleicht verhindert werden können. Graysons Anwalt Daniel Fultz gibt bisher keine Stellungnahmen ab. Der nächste Gerichtstermin ist Ende August.
J.B. Pritzker, der demokratische Gouverneur von Illinois, sagte, „Ich bin wütend, dass einer weiteren unschuldigen schwarzen Frau durch einen Polizisten das Leben genommen wurde.“ Jack Campbell, der zuständige Sheriff, erklärte: „Es ist eindeutig, dass der Deputy nicht wie ausgebildet oder gemäß unseren Standards gehandelt hat.”
Kamala Harris, die designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, sagte, dass Massey es verdient gehabt hätte, „sicher” zu sein. Die „verstörenden” Videoaufnahmen bestätigten, „was wir aus den erlebten Erfahrungen von so vielen wissen: Wir haben viel Arbeit vor uns, sicherzustellen, dass unser Justiz-System seinem Namen vollauf gerecht wird.”
Kommentare