Rätselraten
In den US-Medien ist das Lecter-Deuten mittlerweile zur Sportart geworden. Von der New York Times abwärts versuchen alle, den Sinn hinter Trumps Äußerungen finden. Warum zitiert man einen der abartigsten Verbrecher der Filmgeschichte? Und beschreibt ihn auch noch als "netten Kerl"?
Erstmals hat Trump seine "Signature Phrase" über den Kannibalen vor gut einem Jahr ausgepackt. Da erzählte er bei einem Auftritt in Pennsylvania, dass südamerikanische Staaten ihre Gefängnisse und Psychiatrien leeren würden, um die Insassen in den USA "abzuladen". "Geisteskranke, abnorme Rechtsbrecher und bösartige Migranten“ kämen so millionenfach über Grenze, sagte der Ex-Präsident. "Das ist wie in 'Das Schweigen der Lämmer'. Aber sie kommen in unser Land."
Die Erzählung erwies sich als Hirngespinst, widerlegt von Faktencheckern und der Trump-Kampagne selbst. Die konnte auf Nachfrage keinen einzigen Beleg dafür liefern. Trump störte sich daran aber nicht, er erweiterte die Theorie sogar: Hannibal Lecter sei auch ein Trump-Fan, sagte er im Oktober. "Er hat im TV gesagt, ,ich liebe Donald Trump.' Deshalb liebe ich ihn."
"Als ob er real ist"
Die Fragezeichen wurden danach nur größer, zu Trumps Freude, wie es schien. Lecter kommt in fast allen Wahlkampfauftritten vor, manchmal in mehrminütigen Lobeshymnen, jedenfalls immer "wunderbar" und "großartig".
Ob Trump dabei die Filmfigur oder den Schauspieler meint, ist allerdings nie ganz klar. Anthony Hopkins, der Lecter 1991 spielte, wusste etwa gar nichts davon. Dass Trump über Lecter spreche, als ob der real sei, verwunderte den Oscarpreisträger sehr: "Ich bin schockiert und entsetzt, was Sie mir da über Trump erzählen", sagte er in einem Interview.
Erklärungsansätze lieferte auch die Trump-Kampagne keine. Trump sei ein "inspirierender und begnadeter Geschichtenerzähler", sagte dessen Kampagnenleiter Steven Cheung, die Bezugnahme auf Popkultur sei einer der vielen Gründe, warum er erfolgreich sei (anders als Kamala Harris, die so "sympathisch wie eine abgenutzte Couch" sei, so Cheung). Auf Fox News rückte man sogar zur Ehrenrettung aus und sagte, die Berichte über Trumps Lecter-Liebe seien allesamt nur "Fake News". Trump habe nur "herumgescherzt".
The weird Donald
Glaubt man US-Medien, sollen Trumps PR-Manager ihm bereits mehrfach dazu geraten haben, die Lecter-Phrasen nicht mehr zu nutzen. Das hat gute Gründe: Die Harris-Kampagne nutzt die alte Methode Trumps, seinen Gegner mit einem einzigen Etikett zu desavouieren.
Trump traf Joe Biden im Innersten, als er ihn zu "Sleepy Joe" machte; das war definitiv einer der Gründe für seinen Rückzug. Bei Harris hat Trump dieses eine herabwürdigende Etikett noch nicht gefunden. Die Demokraten waren da schneller: Für sie ist Trump nur mehr "weird" - also hochgradig merkwürdig.
Er soll damit lächerlich wirken, so der Gedanke dahinter - nicht nur gefährlich, wie ihn Bidens Team aussehen lassen wollte. Das scheint zu funktionieren, der Widerhall in den sozialen Medien ist enorm; und selbst die Comedians von Saturday Night Live sprangen darauf auf.
Nur bei einem scheint die Warnung nicht anzukommen: Trump selbst spricht auf seinen Rallys weiterhin unablässig von Hannibal Lecter. Mehr noch: Seit Kurzem thematisiert er sogar sein neues "Weird"-Image. "Sie sagen, dass einer, der Hannibal Lecter erwähnt, doch kognitiv in Schwierigkeiten sein muss", sagte er kürzlich. Und setzte nach: "Nein, nein. Das sind echte Geschichten."
Danach zeigte er mit dem Finger auf einen Mann im Publikum und sagte: "Dich möchte er zum Essen haben. Ja, genau Dich."
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