USA: Der Tod der Höchstrichterin und Trump-Gegnerin
Der überraschende Tod von Ruth Bader Ginsburg, der legendären Wortführerin der Liberalen am Obersten Gerichtshof, stellt in der Schlussphase den Präsidentschaftswahlkampf in Amerika auf den Kopf und könnte zu einer weiteren Polarisierung des tief zerstrittenen Landes führen.
Nach Ginsburg, die am Freitagabend in ihrem Haus in Washington im Alter von 87 Jahren starb, kann Präsident Donald Trump zum dritten Mal in seiner Amtszeit einen Obersten Richter auf Lebenszeit nominieren. Damit würde am höchsten Gericht der Vereinigten Staaten auf Jahrzehnte eine Mehrheit zementiert, in der sechs konservative Juristen drei liberalen Richtern gegenüberstehen.
Für Demokraten und Liberale eine Horror-Vorstellung. Für Republikaner und Evangelikale hingegen ein Wunschkonzert.
Sollte Trump die Top-Personalie bis zum 3. November erfolgreich forcieren, so erklärten Analysten in Washington, könnte das seine Chancen auf Wiederwahl „substanziell steigern“.
Hintergrund: Die ideologische Ausrichtung des Obersten Gerichtshofs, der immer öfter das letzte Wort bei strittigen Politik-Entscheidungen hat, steht auf der Prioritätenliste vieler Wähler weit oben.
In einer ersten Stellungnahme lobte Trump die landesweit verehrte Bader Ginsburg, die ihn öffentlich einmal als Falschspieler kritisiert hatte, als „Titanin des Rechts“.
Trumps Gelegenheit
Dabei hatte Trump auch schon gesagt, dass er „absolut und ganz sicher“ eine Person nominieren würde, wenn sich dazu die Gelegenheit böte.
Am Samstag kündigte er auch promt an, für die verstorbene Höchstrichterin noch in seiner ersten Amtszeit einen Nachfolger zu finden. Zu den Favoriten für die Nachfolge gehören Ted Cruz, Tom Cotton und die Bundesberufungsrichterin Amy Coney Barrett. Alle Augen richten sich nun auf Mitch McConnell, den Chef der Republikaner im Senat, der das letzte Wort über die Besetzung von Supreme-Court-Richtern hat. Nach dem Tod des erzkonservativen Richters Antonin Scalia Anfang 2016 hatte McConnell, dessen Partei im Senat eine knappe Mehrheit hält, die vom damaligen Präsidenten Barack Obama ausgesprochene Nominierung von Richter Merrick Garland über ein Jahr auf Eis gelegt.
Das Ergebnis ist bekannt. Trump kam im Januar 2017 ins Amt und brachte mit dem 53-jährigen Neil Gorsuch (für Antonin Scalia) und dem 55-jährigen Brett Kavanaugh (für Anthony Kennedy) zwei stramm konservative Richter an den Supreme Court.
Joe Biden, Trumps Herausforderer, erinnerte an das Szenario und erklärte, dass die Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg allein Sache des Siegers der Wahl im November sein müsse.
McConnell will heute nichts mehr von seiner Entscheidung gegen Obama damals wissen. Er erklärte, dass der Senat über einen Kandidaten von Präsident Donald „abstimmen wird“. Von 100 Senatoren/-innen sind nur 53 Republikaner. Mit Lisa Murkowski (Alaska) hat bereits die erste republikanische Senatorin signalisiert, dass sie erst nach der Amtseinführung des neuen (oder alten) Präsidenten im Januar 2021 über die Nachfolge von RBG abstimmen will. Auch mit Mitt Romney und Susan Collins könnten weitere Konservative ausscheren.
Die Kultfigur
Bader Ginsburg, 1993 von Präsident Bill Clinton berufen, war zu einer Kultfigur des linksliberalen Amerika geworden. Das Konterfei der zierlichen Juristin, die sich in den 1970er-Jahren als Pionierin der rechtlichen Gleichstellung von Frauen einen herausragenden Namen gemacht hatte, prangte auf
T-Shirts, Tassen und Taschen. Zwei Kinofilme zeichneten ihr Leben nach.
Junge Menschen verehrten die Opern-Liebhaberin als „Notorious RBG“, in Anspielung auf den 1997 erschossenen Rapper Notorious B.I.G. Ginsburg war mit 87 Jahren das älteste Mitglied des neunköpfigen Richter-Gremiums. Viermal erkrankte sie in den vergangenen Jahren an Krebs und erwarb sich durch ihr strenges Arbeitsethos auch den Respekt politisch-juristischer Gegner.
Mit ihrem Kollegen Antonin Scalia, mit dem sie die Leidenschaft für die Oper teilte, pflegte sie eine tiefe Freundschaft, obwohl beide bei der Auslegung der Verfassung oft auf verschiedenen Planeten lebten.
Österreichische Wurzeln
Wie weit die Bewunderung für die Ausnahme-Juristin reicht, wurde am Freitagabend in Washington deutlich. Hunderte Menschen versammelten sich bis nach Mitternacht auf den Stufen vor dem neben dem Kapitol gelegenen Supreme Court, legten Blumen nieder, zündeten Kerzen an und trauerten, wie ein Teilnehmer sagte, um „eine wirklich große Frau“.
„RBG“ wurde als Joan Ruth Bader 1933 als Tochter eines russisch-jüdischen Vaters und einer österreichisch-jüdischen Mutter in New York geboren. Ihre Schwester starb mit sechs Jahren. Als Kind wollte RBG Opernsängerin werden. 1956 wurde sie nach Highschool und College als eine von nur neun Frauen unter 500 Studenten an der juristischen Fakultät der Elite-Universität Harvard aufgenommen. In ihrer Biografie beschrieb sie später, welche Widerstände sie dort überwinden musste. So verlangte der Dekan bei einem Essen jeder Studentin ab, zu erklären, warum sie sich ermächtigt fühle, einem Mann den Platz zu stehlen.
Die Frauenrechtlerin
Als Ehemann Marty Ginsburg, den sie mit 17 kennenlernte, an Hodenkrebs erkrankte, stemmte RBG Studium und Erziehung der gemeinsamen Tochter allein. Nach der Universität bekam sie trotz herausragender Leistungen keine Anstellung als Anwältin und stürzte sich stattdessen auf das noch weitgehend unbekannte Feld des Frauenrechts. Ihr Leitmotiv war bei der Frauenrechtlerin Sarah Grimke geborgt: „Ich bitte nicht um viel für mein Geschlecht. Alles, was ich von meinen Brüdern verlange, ist, dass sie ihre Stiefel aus unserem Nacken nehmen.“
Ob ihr letzter Wille erfüllt wird, ist ungewiss. In Washington sehnt sich Präsident Trump einen „Game-Changer“ für den Wahlkampf herbei. Ob Ruth Bader Ginsburgs Tod einer ist?
Ihrer Enkelin Clara Spera hatte RBG das hier aufgeschrieben: „Mein sehnlichster Wunsch ist es, dass ich nicht ersetzt werde, bevor ein neuer Präsident im Amt ist.“ Ein neuer Präsident – nicht Donald Trump.
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