Welser-Möst über USA: "Ungebildetsein ist schick geworden"

Welser-Möst leitet seit 2002 das renommierte Cleveland Orchestra
Clinton oder Trump? Der Dirigent Franz Welser-Möst, ein "Teilzeitamerikaner", wagt nach den jüngsten Entwicklungen nicht mehr, eine Prognose für den Wahltag abzugeben.

Wie sehen ausgewiesene USA-Kenner den Wahlkampf in den Vereinigten Staaten? Wie lautet ihre Prognose für die Wahl am 8. November? Und vor allem: Was hat sich in den USA schon alles geändert beziehungsweise wird sich mit der neuen Präsidentschaft ändern? Der KURIER lässt anlässlich dieser zentralen weltpolitischen Entscheidung Expertinnen und Experten in einer Kurz-Serie zu Wort kommen. Den Anfang macht Franz Welser-Möst, Chefdirigent des Cleveland Orchestra, der seit mehr als 14 Jahren regelmäßig in den USA lebt und sich selbst als "Teilzeitamerikaner" bezeichnet.

KURIER: Hat der amerikanische Wahlkampf die Gesellschaft in den USA aus Ihrer Sicht ebenso gespalten wie, auf anderer Ebene, das Duell zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer die österreichische?Franz Welser-Möst: Ja, dieser Riss ist ganz eindeutig spürbar. Durch die populistischen Töne, die von Donald Trump kommen, wird wieder sichtbar, wo das Land immer schon Probleme hatte.

Meinen Sie, dass Trump der Katalysator für Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ist?

Absolut. Schon immer wurden Schwarze in den USA von Polizisten erschossen, nur weil sie schwarz sind. Durch Trump wurde die Situation noch einmal aufgeheizt. Das Problem beginnt ja immer bei der Sprache. Und was er sagt, ist völlig unverantwortlich.

Was passiert im Fall, dass er Präsident wird?

Dieser Mann ist völlig unberechenbar. Seine Präsidentschaft wäre für die ganze Welt eine Zitterpartie, eine weltpolitische Bedrohung. Manche seiner Sprüche sind schon jetzt entlarvend, etwa dass bei einer Wahl von Hillary Clinton der Dritte Weltkrieg droht. So etwas lässt tief blicken. Ebenso seine Aussagen zur NATO, die in seinen Augen obsolet ist. Oder zu einem Freihandelsabkommen, das man seiner Meinung nach nicht braucht. Es ist auch bezeichnend, welche zwei Länder für Trump eintreten: Nordkorea und Russland. Dass er angekündigt hat, einen Sonderstaatsanwalt einzusetzen, um Hillary ins Gefängnis zu bringen, passt auch in dieses autoritäre Weltbild. Ein Präsident Trump ist ein Abenteuer für die Welt – mit ungewissem Ausgang.

Was passiert, wenn Hillary Clinton Präsidentin wird?

Sie wird große Schwierigkeiten haben, weil dieser Wahlkampf das Land eben wahnsinnig gespalten hat. Bei einem Auftritt von Trump gab es etwa eine Schlägerei, und er hat sinngemäß gesagt, das sei schon in Ordnung. Gewalt gehört also mittlerweile dazu. Trump wird auch nicht, wie etwa damals Mitt Romney, im Fall einer Niederlage, falls er sie überhaupt akzeptiert, von der politischen Bildfläche verschwinden. Er selbst spricht immer von einer Bewegung. Diese Bewegung wird leider auch bei einem Sieg von Clinton nicht vorbei sein.

Hillary Clinton gilt als nicht sonderlich beliebt. Hat Sie wirklich bereits so viel verbrannte Erde hinterlassen? Oder haben die Angriffe gegen sie auch damit zu tun, dass sie eine Frau ist?

Bestimmt haben die Angriffe auch damit zu tun. Ich habe Zweifel, ob die USA reif sind für eine Frau an der Spitze. Hillary Clinton ist hochintelligent und tough – das ist eine Mischung, die viele alte, weiße Männer nicht besonders gern haben.

Wie lautet Ihre Wahlprognose?

Noch vor einigen Tagen hätte ich gesagt: Hillary gewinnt bestimmt. Jetzt traue ich mich das nicht mehr. Die Republikaner machen im Moment alles für die Macht. Auch dass vom FBI die eMail-Affäre nochmals aufgerollt wird oder dass ausgerechnet jetzt die letzten Tage der Amtszeit von Bill Clinton untersucht werden, kann doch kein Zufall sein.

Spielen Themen wie Kunst und Kultur im US-Wahlkampf eine noch geringere Rolle als in Österreich?

Das spielt überhaupt keine Rolle. Aber für Hillary ist zumindest der Bildungsbereich sehr wichtig. Sie hat für freien College-Zugang plädiert. So etwas gibt es für Trump natürlich nicht. Er ist das Resultat einer Entwicklung, dass Ungebildetsein schick geworden ist. Man schämt sich nicht mehr dafür, wenn man nichts weiß, sondern trägt das protzig vor sich her. Und regiert wird dann nach einem System der Angst, wie man es auch in Ungarn oder in der Türkei sieht.

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