US-Sanktionen: NATO-Bündnispartner auf Entfremdungskurs
Die am Mittwochabend verhängten US-Sanktionen gegen die Türkei schweißen derzeit Regierung und Opposition in Ankara zusammen: Am Donnerstagmorgen veröffentlichten AKP, MHP, die Mitte-Links Partei CHP und die nationalkonservative Iyi-Partei gemeinsam im Parlament eine Stellungnahme, in der sie die Sanktionen scharf kritisierten. Sie erklärten sich solidarisch mit allen Schritten, die die Regierung ergreifen werde.
Die USA hatten Sanktionen gegen Innenminister Süleyman Soylu und Justizminister Abdülhamit Gül verhängt, weil sie „führende Rollen“ im Fall des US-Pastors Andrew Brunson gespielt hätten. Brunson war 2016 in der Türkei unter Terrorvorwürfen festgenommen worden und steht derzeit unter Hausarrest. Ihm droht Haft wegen Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und zur Gülen-Bewegung. Um ihn freizubekommen, froren die USA mögliche Vermögen der beiden Minister in den USA ein und verboten US-Bürgern Geschäfte mit ihnen.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte seinerseits die Freilassung im Gegenzug für die Auslieferung Fethullah Gülens angeboten – der Islamprediger lebt im Exil in den USA und wird von der Türkei für den Putsch von 2016 hauptverantwortlich gemacht. Soylu schrieb am Donnerstagmorgen auf Twitter, dass man sich in den USA holen werde, was der Türkei gehöre. „Wir haben in Amerika einen Besitz: Fetö. Den werden wir nicht dort lassen. Wir werden ihn holen!“ Als Fetö bezeichnet die Türkei die Gülen-Bewegung.
Das Verhältnis der USA und der Türkei ist auch auf anderen Ebenen angespannt: Im Syrien-Konflikt unterstützt Washington die kurdisch dominierten „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF), Ankara jedoch Überbleibsel der syrischen moderaten Rebellen und bekämpft die SDF. Die wachsende türkische Annäherung an Russland sorgt ebenso für Nervosität im Weißen Haus – 2020 bekommt die Türkei das russische Raketenabwehrsystem S-400 geliefert. Dass die zweitgrößte Streitmacht der NATO auf russische Waffensysteme zurückgreift, ist ein Affront gegen das Militärbündnis. Das Thema Raketenabwehr hat bereits vor drei Jahren die Beziehungen in der NATO belastet: Deutschland hatte seine Patriot-Raketen von der Türkei nach Jordanien verlegt, offiziell weil sich die Bedrohungslage verändert habe, inoffiziell, weil sich die Türkei bereits damals in Syrien mehr auf die Bekämpfung der NATO-unterstützten Kurden konzentriert hatte, als auf die Vernichtung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).
Neben den politischen Problemen plagen die Türkei auch wirtschaftliche Sorgen: Schon vor Verhängung der US-Sanktionen hatte deren Androhung die türkische Landeswährung Lira am Mittwoch auf weitere Rekordtiefstände geschickt. Der US-Dollar stieg im Verhältnis zur Lira in der Spitze bis auf den historischen Höchststand von 4,9985 Lira. Der Euro-Kurs kletterte auf einen Rekordwert bei 5,8323 Lira. Beide Währungen legten zur Lira damit um über ein Prozent zu. Die Sanktionen könnten die bereits angeschlagene türkische Wirtschaft hart treffen.
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